Re: Wo kommt die Freude in den Klarträumen her?
01.12.2008, 13:11
Zitat:owa schrieb am 29.11.2008 19:16 Uhr:
Und sie lassen mich in Ruhe, es herrscht friedliche Koexistenz, niemand will den anderen bekehren. Ich gebe zu, das mit dem nicht bekehren wollen ist ein klein wenig utopisch, aber... leidet irgendjemand?
Ich versteh nicht so ganz, worauf du hinaus willst. Ob da irgendjemand leidet hängt zuerst mal davon ab, was man unter "leiden" versteht, und genau hier scheint es eine Differenz zu geben. Es geht hier um "leiden" in einem viel weiter gefassten Sinne als du es scheinbar jetzt im Sinne hast.
Hier gibts eine Erläuterung dazu: "Der Begriff »Leiden« wird im Buddhismus viel weiter gefasst als in der christlich-abendländischen Denktradition. Leiden ist mehr als nur Schmerz, Traurigkeit, Drangsal, Angsterfahrungen, Isolation, Todesgewissheit usw... [...] Leiden ist das grundlegende Charakteristikum einer jeden Existenz, denn in allem, was entsteht und sich vollzieht, ist das Ende immer schon mitangelegt."
Nun bin ich kein Buddhist und wenn du diese buddhistischen Lehren kritisierst oder anzweifelst hab ich da bestimmt kein Problem mit. Aber das ist natürlich der Kontext, in dem das, was ich oben gesagt habe, eingeordnet werden muss. Und in diesem Sinne leidet in deinem Beispiel natürlich jemand. Aber eben nicht in dem Sinne, dass er deshalb jetzt bewusst unglücklich sein müsste oder Schmerzen hätte oder so.
So wie ich das verstehe ist Leiden ein Grundcharakteristikum der unauthentischen Existenz in einer selbst geschaffenen Illusion. Oder vielleicht auch nur ein anderes Wort dafür. Alles konkrete Leiden im engeren Sinne (Traurigkeit, Schmerz usw...) resultiert aber danach aus dieser Täuschung. Aber auch wenn diese Form von konkretem Leiden nicht erkennbar ist, ist Leiden grundsätzlich immer vorhanden.
Diese Ansicht will ich hier nicht dogmatisch vertreten oder so, ich bin davon noch nichtmal überzeugt. Es ist für mich nur ein interessanter Gedanke, der eine Möglichkeit einer Erklärung für diese Freude in den Klarträumen, um die es hier geht, bietet.
Zitat:Mit diesem postmodernen Paradoxon könnte man doch auch dieses gesamte Konstrukt vom Dualismus zu Fall bringen. Oder wäre das Unterteilen von Dualistisches Denken/Nicht-Dualistisches Denken etwa kein neuer ebenso paradoxer Dualismus....?
Natürlich. Zumindest wenn man versucht, es in Worten zu beschreiben. Denken ist nun mal dualistisch, Worte sind dualistisch. Letztlich sind darum wohl alle in Worten gefasste Beschreibungen der Welt paradox:"Das Tao, über das man reden kann, ist nicht das wirkliche Tao." (oder so)
Zitat:Man hat Null und Eins zur Auswahl (repräsentativ für gute und schlechte Wertvorstellungen), welche davon dem anderen überlegen ist. Entscheidet man sich für eine davon ist man im dualistischen Denken gefangen. Entscheidet man sich gar nicht, so wird das jetzt hier als Entscheidung zwischen "Sich für entweder Null oder Eins entscheiden" und "Sich gar nicht entscheiden" gewertet und man ist immer noch im Dualismus gefangen. (Daran ändert sich auch nichts, wenn man sich vorher zum Beispiel zwischen Null, Eins, Zwei und 26183 entscheiden sollte.)
Ich versteh nicht ganz, wieso du so darauf fixiert bist, dass man sich unbedingt immer für eins von zweien entscheiden müsste.
Zitat:Mit anderen Worten: Man hat das menschliche Denken in einem Hamsterrad gefangen. Egal was man tut oder unterlässt, man kann sich der "Erbsünde" nicht entziehen.
Wenn du jetzt vom logischen Denken sprichst, dann ist das doch spätestens seit Gödel in einem Hamsterrad gefangen, in dem Sinne dass es immer unvollständig oder widersprüchlich (paradox) ist.
Zitat:Oder das ganze Problem stellt sich gar nicht erst, weil man sieht dass die meisten (oder vielleicht sogar fast alle) Sachen, die wohl gemeinhin als dualistisch bezeichnet und dargestellt werden, eigentlich keine Gegensätze sind und man nicht, wenn man das eine wählt, automatisch das andere ablehnen muss. Zum Beispiel bei Körper/Geist, Realität/Illusion oder auch das sogenannte Gut/Böse.
Auch wenn ich erkenne, dass ich mich bei den zwei Polen eines Dualismus nicht unbedingt für einen entscheiden und den anderen ablehnen muss, ist der Dualismus doch (in unserer Wahrnehmung) immer noch vorhanden. Angenommen, ich komme z.B. zu einer ganzheitlichen Einstellung zu Körper und Geist und sehe z.B. Körper und Geist als zwei verschiedene Perspektiven auf ein Ding an. D.h. ich hab den Dualismus als irreal erkannt, als Teil meiner Wahrnehmung, nicht Teil des Objektes. Dann ist der Dualismus immer noch vorhanden.
Zitat:Könnte aber als guter Nerd-Witz dienen: "Es gibt nur Dualismus." .... Vergleichbar mit "Treffen sich zwei Solipsisten."
Die Aussage "Es gibt nur Dualismus" ist auch höchst fragwürdig. Das deutet ja auf einen ontologischen Dualismus hin, wie ihn z.B. Descartes vertreten hat. Aber dass es den Dualismus wirklich gibt, wird ja gerade bestritten (von den Buddhisten z.B.).
Zitat:Das Konzept dieses Dualismus kann nicht "verschwinden" wenn man beide Seiten gleichermaßen akzeptiert, woher sollte man sonst wissen, welche zwei (oder mehr) Seiten es zu akzeptieren gilt?. Es hat dann aber nicht mehr die gleichen Auswirkungen.
Das ist doch im Grunde genau das: ich sehe z.B., dass es in unserer Wahrnehmung einen Dualismus zwischen Körper und Geist gibt. Ich stelle auch fest, dass die meisten Menschen eine Seite des Dualismus für "realer" halten als die andere und sich entsprechend verhalten und das dies auch in unterschiedlichen Kulturkreisen mal so, man andersrum ist. Aber ich habe für mich erkannt, dass dieser Dualismus nur eine Täuschung ist und keine Eigenschaft der Welt und sehe Körper und Geist als zwei Erscheinungsformen ein und desselben Dinges an, das unserer Wahrnehmung aber nicht direkt zugänglich ist.
Zitat:Leid, weil sich die beiden Seiten gegenseitig konvertieren wollen wäre eine mittelbare Auswirkung. Nur bin ich eben nicht der Ansicht, dass gegenseitiges konvertieren wollen auch zwangsläufig und unmittelbar daraus folgt dass man einer dieser Seiten nähersteht, sich mit ihr identifiziert.
Hier kommt es meiner Meinung nach wieder darauf an, den Begriff "Leid" viel allgemeiner zu fassen.
Wenn die Dualismen Täuschung sind und wir somit weder Körper noch Geist, sondern etwas umfassendes sind, das Körper und Geist integriert, wir uns aber nur mit dem Körper oder nur mit dem Geist identifizieren, dann verdrängen wir einen großen Teil unserer Identität, wir verlieren den Kontakt zu unserem authentischen Selbst, und das heisst "Leiden".
Wenn wir dann viel Stress in unserem Leben haben, weil wir uns mit Leuten, die sich mit der anderen Hälfte des Dualismus identifizieren, herumstreiten und keine Ruhe finden, bevor sie unserem Glauben nicht zustimmen, dann ist das eine von vielen Folgen dieses Leidens.