(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Wenn man sie Suche fortsetzt stößt man auf viele weitere Phänomene dieser Art, und hier wird es spannend: Ebenso sind nämlich Farbeindrücke selbstevident. Man kann jemandem, der Farben anders wahrnimmt nicht sinnvollerweise sagen, er vertue sich, da seien eigentlich andere Farben, da Farben ebenfalls bloß im Reich der Erfahrungen existieren. Wohl kann man erklären, es würden von dem bezeichneten Objekt diese oder jene Lichtwellenfrequenzen absorbiert und andere reflektiert, aber das sind Aussagen über Licht und Oberflächenbeschaffenheit etc. sowie über Messgeräte, nicht aber über Farben. Ohne Wesen mit mentaler Verarbeitung von auf sie eintreffenden Lichtwellen gäbe es sowas wie Farben nicht. Es sind mentale Phänomene. Demnach sind auch Aussagen über Farbwahrnehmungen selbstevident und nicht anzweifelbar; wer etwas als rot sieht sieht es als rot, ungeachtet der eigentlichen Oberflächenbeschaffenheit etc. des so bezeichneten Objektes.
Also da würde ich widersprechen. Im Gegensatz zu Schmerzen - da gehe ich mit deinen Aussagen weitesgehend mit (abgesehen davon, dass wir eine gute Vorstellung davon haben, was Schmerzempfindungen auslöst, Nervenbahnen, etc.) - sind Farben nicht selbstevident. Ein Farbeindruck, das steckt ja schon im Namen, ist es, aber nicht eine Farbe. Licht mit einer bestimmten Wellenlänge hat eine bestimmte Farbe, bestimmte Wellenlängen haben verschiedene Farben. Der 532-Nanometer-Laserpointer in meiner Hand hier hat eine grüne Farbe. Das Licht ist grün. Ich habe auch einen roten Laserpointer mit 650 nm, der macht rotes Licht. Wir haben diesen Wellenlängen die Namen von Farben zugeordnet. Allerdings hat nicht jede Wellenlänge einen Namen, weil viele Wellenlängen für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Trotzdem wären das unterschiedliche Lichtfarben. Und die kann man messen, ich habe schon mehrfach Absorptionsphotometrie gemacht.
Ohne menschliche Wesen würde vielleicht der Satz "Dieser Laser mit 532 nm ist grün" wenig Sinn machen - aber auch nur, weil das von uns Menschen reichlich willkürlich festgelegt ist. Die Farbe wäre dennoch die gleiche.
Der Farbeindruck hingegen ist subjektiv. Ein Beispiel:
Die Flächen A und B haben zwar die gleiche Farbe, aber nicht den gleichen Farbeindruck.
(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Ebenso verhält es sich mit Geräuschen, Gerüchen, Geschmäckern und haptischen Empfindungen - zwar kann man manchmal eine Inkonsistenz in der Übertragung eines als in der Außenwelt angenommenen Objektes in die mentale Repräsentation beobachten, wo neun Menschen sagen, sie sähen etwas rot und einer sagt, er sähe es blau (das Problem divergierender interner Lexika mal außen vor lassend; er sieht dort wirklich das, was andere auch als 'blau' bezeichnen würden), aber dass so ein Eindruck vorliegt, kann nicht angezweifelt werden.
Geräusche sehe ich wie Farben, siehe oben. Gerüche, Geschmäcker etc. sind dann wieder eher deiner Sicht konform. Geräusche sind Luftdruckschwankungen. Die kann man ebenso messen wie das Lichtspektrum, zum Beipiel mit einem Mikrofon. Geräuscheindrücke sind dann wieder davon losgelöst und können sich von dem unterscheiden, was Luftschwingungen sagen. Zudem fließen beim Geräuscheindruck auch noch Dinge wie Knochenschall mit ein.
(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Klarträume sind schöne Prüfungen für die Unabhängigkeit der mentalen Repräsentation von irgendwelchen äußeren Eindrücken; ich kann all diese Empfindungen im Traum haben, obwohl meine Augen zu sind, es vollkommen still ist etc. pp.; ich kann Farben sehen, Geräusche hören, Geschmäcker, Gerüche und Tastempfindungen haben.
Und damit können sich Wahrnehmung und Realität voneinander unterscheiden.
(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Der Punkt, an dem es für den Realisten schwierig wird, ist der, wo er ein Phänomen als Beweis einer unabhängigen externen Realität anführen soll, was nicht unter die direkt selbstevidenten Phänomene fällt. Auch Kurven auf Oszillatoren von Messinstrumenten sind Erfahrungen von Farben, Formen, Geräuschen oder welcher Art die Ausgabe des Gerätes auch immer ist; Gespräche mit Kollegen ebenfalls etc. pp.
Das geht nicht. Deshalb ist es ja auch so ermüdend, mit Solipsisten zu streiten, da alles letztlich ein Bild im "Kopf" - den es im Solipsismus nicht gibt - ist. Rein logisch gesehen ist der Solipsismus ebensowenig widerlegbar wie Last-Thursdayism. Und man könnte sich unbegrenzt viele solcher Modelle ausdenken, eines unwiderlegbarer als das nächste. Aus rein pragmatischer Sicht greift Ockahams Rasiermesser und sagt uns, solange keine Beweise zu Lasten anderer Optionen vorliegen, sollten wir bei der Annahme verweilen, die die wenigsten/einfachsten Prämissen hat. Und da kommt der Realismus.
(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Was ist nun aber die Grundlage des Realisten, einer zu sein? Ich meine, es sei die Konsistenz der Erfahrung. Im Grunde zwar nur der eigenen, da auch alle Personen, die nicken und 'ja erfahre ich auch so' sagen, Bots sein könnten, aber dazu hat der Realist ein starkes heuristisches Argument, das aus pragmatischen Gründen die Welt so betrachtet, als gäbe es eine unabhängige Außenwelt, um dort Futter suchen und Feinden ausweichen zu können etc. Per Selektionsdruck überleben diese Individuen länger, haben mehr und besser genährte Nachkommen und daher gibt es so viele davon.
Ockhams Rasiermesser und Konsistenz, jawohl. Vielleicht noch mehr.
(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Was tut der Realist aber, wenn er (wie hier im Forum) mir anderen Menschen zusammentrifft, die direkt selbstevidente, daher nicht von jemand anderem anzweifelbare Erfahrungen von inkonsistenten Realitäten haben? Ich finde, das stellt zumindest einen Test für seine heuristische Methode des Annehmens einer für alle gleichermaßen konsistenten wie gültigen Außenwelt dar. Und wenn der Realist wirklich grundlegend erstmal Pragmatist ist, und nicht den Realismus als Dogma betrachtet, dann liegt es in seinem eigenen Interesse, seine Methoden zu überprüfen.
Na, die Inkonsistenz spielt sich in der Erfahrung ab, nicht in der Realität. Wenn wir eine Person haben, die sagt, sie sehe Geister, und wir mit der Kamera daneben stehen und nichts sehen, dann deutet das darauf hin, dass sich ihr Sinneseindruck nicht in der Realität, sondern in ihren Erfahrungen abspielt.
(13.01.2019, 14:27)Typhon schrieb: Zuletzt würde ich nach hintanstellen, dass Diskutieren überhaupt nur ein hilfreiches Unterfangen ist, wenn man pragmatische, und nicht, wenn man dogmatische Ziele verfolgt. Von daher müsste man vielleicht eine Methode entwickeln, den Grad der Zufriedenheit und der Harmonie und dem Nutzen für die Nächsten in den konfligierenden Personen zu messen und dies als Maß für die Nützlichkeit der jeweiligen Weltbilder zu nehmen.
Dann müsste man auch noch diskutieren, was ein Weltbild überhaupt ist. Es ist zumindest kein wissenschaftliches Theoriegebäude und unterliegt nicht den selben Ansprüchen an Konsistenz und Kohärenz wie diese. In Weltbildern können m.M.n. Sätze vorkommen wie 'ich glaube, alles ist Liebe', auch wenn allein deren Struktur wissenschaftlich grob gesagt bullsh*t und der Inhalt daher nicht zu überprüfen ist. Es hat allerdings reale Auswirkungen auf die Handlungen desjenigen, der das glaubt! Ich würde von Sätzen innerhalb von Weltbildern verlangen, dass sie die Parameter des ihm zugrunde liegenden Maßes erhöhen, d.h. eben den Grad der Zufriedenheit, der Harmonie und des Nutzens für die Umwelt. 'Wahrheit' ist dahingehend höchstens ein weiteres heuristisches Mittel, um solche Sätze zu finden, die maximal nützlich sind; Wahrheiten aus der Psychologie haben vielen Menschen geholfen, sich und ihr Umfeld gesünder zu machen, aber auch Wahrheiten der Religion, wonach wir Gott alle gleich sind und natürlich auch physikalische Wahrheiten, mit denen wir Satelliten auf ihren Umlaufbahnen halten, Krebs per Kernspintomographie erkennen können etc. pp.
Die Mischung machts.
[ edit: ] Um das abzurunden muss natürlich dazu gesagt werden, dass ein weiteres Problem darin besteht, wenn Subjektivisten (von denen ein Solpisist ein Extremfall ist) sich dermaßen in ihr Weltbild versteifen, dass sie mental ungesund und damit schädlich werden. Das Problem beider ist das Beharren auf Wahrheit wo Nutzen angebrachter wäre.
Dem kann ich im Prinzip zustimmen.
Welchen Nutzen hat dann Solipsismus? Das man sich mit anderen Menschen mehr verbunden fühlt?