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Alice im Spiegelland

Alice im Spiegelland
#1
17.04.2008, 13:35
[+] 1 User sagt Danke! Don Rinatos für diesen Beitrag
Alice trifft im Spiegelland zusammen mit den spiegelbildlichen Brüdern Dideldum und Dideldie auf
den schlafenden roten König:
‚Er träumt gerade‘, sagte Dideldie. ‚Und was meinst du, von wem er träumt?’ ‚Das kann ich doch
nicht wissen’, sagte Alice. ‚Doch, weil er von dir träumt!’ rief Dideldie [...] Und wenn er aufhört zu
träumen, was glaubst du, wo du dann wärst?’ ‚Genau da, wo ich jetzt bin’, sagte Alice. ‚Im Gegentum’
[sic!] trumpfte Dideldie auf. ‚Nirgends wärst du! Du bist bloß ein Hirngespinst aus seinen
Träumen.’ ‚Und wenn der König aufwacht’, fügte Dideldum hinzu, ‚dann bist du weg -pfft- wie eine
ausgeblasene Kerze.’ ‚Bin ich nicht!’ rief Alice wütend. ‚Wenn ich ein Hirngespinst bin, dann
möchte ich wissen, was ihr seid?’ ‚Das gleiche’, sagte Dideldum. ‚Exakt das gleiche!’ rief Dideldie.
Er schrie so laut, daß Alice ‚Pssst’ sagte und: ‚Du weckst ihn noch auf mit deinem Geschrei.’ ‚Ausgerechnet
du mußt vom Aufwecken reden‘ ,sagte Dideldum, ‚wo du bloß irgendwas aus seinen
Träumen bist! Du weißt genau, daß du nicht echt bist.‘ ‚Ich bin aber echt!‘ rief Alice und fing an zu
weinen. ‚Vom Heulen wirst du kein bißchen echter‘, bemerkte Dideldie, ‚das macht’s nicht besser!‘
‚Wenn ich nicht echt wäre –‘‚ Alice weinte und lachte nun zugleich, weil das Ganze wirklich zu albern
war, ‚dann könnte ich doch nicht weinen, oder?‘ ‚Ich hoffe, du glaubst nicht, daß das echte
Tränen sind?‘ erwiderte Dideldum voll Verachtung.


Carroll, Lewis: Alice im Spiegelland. Aus dem Englischen v. B. Teutsch. Hamburg: Cecile
Dressler Verlag 1990.
Alles begann mit einem Tod


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Re: Alice im Spiegelland
#2
17.04.2008, 21:07
sehr schön diese parallelität der erdachten zu den geträumten figuren und die relativität dessen, was wir immer so gerne als "persönlichkeit" betrachten, als wäre das etwas solide seiendes. ich lese das ja auch öfter aus spells beiträgen. sehr schön auch als grundproblem in "sophies welt" erfaßt (leider nur als rahmenhandlung zu einer philosophiegeschichte; aber immerhin großartig, als sophie sich selbst als zornig existenziell empfindet, weil sie ja nur eine figur in einer geschichte sei. guter gedanke)

lg
banzai!

hier grafik von max klinger zum thema:
[Bild: klinger.gif]
offene weite - nichts von heilig
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Re: Alice im Spiegelland
#3
17.04.2008, 21:56

Zitat:banzai! schrieb am 17.04.2008 21:07 Uhr:
sehr schön auch als grundproblem in "sophies welt" erfaßt


hmm... das erinnert mich an einen Traum:


Zitat:- Graue Häuser, graue Straßen, der Winter ist verdammt kalt. Verdammt kalt ist er und verflucht lang. In dieser Stadt ist alles grau, sogar die Menschen. Sie sind grausam.

Der Büchermacher rieb sich die Hände am kleinen gusseisernen Ofen. Seine Möbel hat er schon vor einer Woche verfeuert, er hatte kein Geld für Kohle, jetzt saß er auf dem Fußboden.

- Diese Grausamkeit ernährt sich vom Geld, nicht von Büchern... nicht von meinen Büchern! Dieser Winter kann nicht vergehen, die Kälte ist tief im menschlichen Herzen eingewurzelt, verdammt tief, sogar die Tinte friert ein!

Der Büchermacher schrieb ein Manuskript, sein Meisterwerk. Er wusste, dass dieses Buch keiner lesen, geschweige denn kaufen wird. Doch er konnte es nicht anders machen und er wollte es auch nicht anders schreiben. Er war wahrscheinlich schon seit einiger Zeit krank, er bekam Hustenanfälle, er fieberte und zitterte am ganzen Leib.

In seinem Manuskript handelte es sich um einen Irren, einen Verrückten, der in der Irrenanstalt ein Bild malte. Eigentlich ging es dort weniger um den Kranken, sondern um sein Gemälde. Ein Arzt schlug unglücklicherweise dem Irren vor, sich zum seelischen Ausgleich künstlerisch zu betätigen und einwenig zu musizieren oder zu malen. Seit dem ist der Irre voll und ganz in seine Arbeit versunken, Tag und Nacht malte und übermalte er seine Leinwand und es entstand ein sagenhaftes Bildnis:

Wie sein wildes Blut spritzte er zuerst ein chaotisches Rot drauf und vermischte es dann mit der blauen Farbe seiner Depression. Zwanghaft setzte er giftgrün drauf und starrte stundenlang ins additive Weiß. Wie die Pointilliste seiner Bilder sich aus tausend winzigen Farbpunkten zusammensetzten, die sich erst auf der Netzhaut des Betrachters zu gleichmäßigen Farbflächen verbinden, so trug er Tausende von Formen und Zeichen auf, die beim Betrachten, zusammen absolut nicht zu sehen waren. Nach Wochen und Monaten intensiver Schaffung sah das Gemälde immer noch unschuldig unberührt aus. Die Krankenschwestern kicherten und der Arzt verschrieb dem Irren starke Beruhigungsmittel. Doch das, was einem oberflächlichen Zuschauer entgangen war, würde jeden aufmerksamen Menschen ins staunen bringen - eine wundersame und eigenartige Welt erstreckte sich auf dem Leinen.

An dieser Stelle endet die Vorprogrammierung von Dreamcar. Es war nachts 1.00 Uhr und ich bin schlafen gegangen. Morgens bin ich klar geworden und habe mich an mein Vorhaben erinnert.
Ich erlebte die kalte Wohnung des Büchermachers, schrieb mit ihm zusammen sein Buch und vertiefte mich in dessen Inhalt. So gelang ich in die Irrenanstalt und schaute dem Irren hinter die Schulter, wie er sein Gemälde gemeistert hat. Der Irre war mit seiner Situation sehr zufrieden. Es war ihm nur Recht, dass keiner sein Bild sehen konnte, denn jetzt ging es ernsthaft zur Sache. Er nahm den dünnsten Pinsel und bearbeitete die Details zwischen der Farbe und den Formen. In dem Moment, als er so konzentriert seinen Pinsel in das Leinen eintauchte, merkte er, das der Pinsel durch die Leinwand ging. Er schaute auf die andere Seite des Bildes, dort kam der Pinsel nicht raus. Der Irre freute sich noch mehr. Er arbeitete weiter an den Details und bald tauchte der ganze Pinsel durch das Bild. Der Verrückte wartete bis er allein war und steckte seine Hand durch - sie passierte das Bild wiederstandsfrei. Der Irre tauchte seinen Kopf, seine Schulter und seinen ganzen Körper hinein.
Alles begann mit einem Tod


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Re: Alice im Spiegelland
#4
17.04.2008, 21:57
[+] 1 User sagt Danke! Don Rinatos für diesen Beitrag

Zitat:Auf der Rückseite des Gemäldes landete er an einer Brücke, die über einen Abgrund hing. Entschlossen ging er über die Brücke in eine andere Dimension. Seltsame Vegetationen, unglaubliche Tiere und fremdartige Vögel lebten dort. Doch der Verrückte ging zielstrebig den Weg weiter. Weiter weg von den Formen in eine farbenprächtige Wüste. Doch auch dort hielt er sich nicht lange auf. Weiter weg von den Farben in eine weiße Schneewüste. Er wurde sichtlich alt. Seine Haare wurden grauweiß und seine Haut verlor die lebendige Farbe. Nicht nur die Umgebung sondern auch er selber entbehrte Farbe und Form. Bis er dort ankam wo es keine Gegend mehr gab und wo er sich auch nicht mehr von der Umgebung unterscheiden konnte.
Als er auch diese Nichtgegend passierte, kam er wieder an ein weißes Feld. Doch das Weiß war hier mehr Grau, denn hinter dem Feld fing schon die Stadt an. Er ging durch diese Grau-kalte Stadt durch, in eine alte Wohnung hinein und fand dort einen halberfrorenen Büchermacher. Der Irre nahm den Büchermacher auf den Arm, packte sein Buch ein und trug ihn aus der grauen Stadt ins weiße Feld hinaus...

Es klingelte. „Wach auf“, sagte meine Freundin, „du hast Besuch.“ „Ich weiß“, entgegnete ich und sprang aus dem Bett. Vor meiner Tür stand der Verrückter mit hochstehenden Haaren und irrsinnigen Augen. Er hielt einen anderen Mann in seinen Armen.
- Kommt rein, sagte ich zu ihm, hier ist es warm und ich setze Tee auf.
Der Irre durchbohrte mich mit seinen großen Augen.
- Wir haben keine Zeit, du bist derjenige, der das alles zusammengesponnen hat. Du bist ein Spinner. Sag uns, was soll das und welchen Sinn haben unsere Schicksale?
- Was kann ich schon dafür, antwortete ich. Nicht ich habe mich in diese Welt hinein geboren und nicht ich habe diese Bedingungen erschaffen. Wenn ihr auf den Grund gehen möchtet müsst ihr denjenigen suchen, der mich malt, schreibt oder erträumt.
- Kommst du mit? - fragte mich der Irre.
Ich war einverstanden. Wir gingen raus. Raus in den Schnee.

Als wir die große Nichtgegend ohne Farben und Form durchquerten, stiegen wir hinter das Geheimnis unserer Erschaffung. Wir entdeckten die wahre Natur unserer Existenz! Wir alle, der Irre, der Büchermacher und ich sind die Buchstaben dieser Erzählung.
Alles begann mit einem Tod


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Re: Alice im Spiegelland
#5
18.04.2008, 19:55
vermutlich war es dieses bild... big
[Bild: oe-erfindung%20eines%20traumes.jpg]
erfindung eines traums, von richard oelze.

und weiter geht dies mit ebensolchen traumszenen in "Der Schatten des Windes" von Carlos Ruiz Zafón..."Der junge Daniel Sempere aus Barcelona wird von seinem Vater, einem Buchhändler, zu einer verborgenen Bibliothek, dem „Friedhof der Vergessenen Bücher“ geführt."...

»Das große Bild ist ohne Form« sagt Laotse.

und dann...

lg
banzai!
offene weite - nichts von heilig
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RE: Alice im Spiegelland
#6
21.09.2019, 17:31 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 21.09.2019, 17:32 von Meerfelix.)
Ich finde das Buch sehr gut. Die Geschwindigkeit mit der sich Figuren hinter den Spiegeln bewegen deutet für mich auf die Geschwindigkeit der Gedanken hin, bei denen es wichtig ist, dass sie nicht stehen bleiben.
Die Frage am Ende Wer diesen Traum nun geträumt hat finde ich wunderbar, weil ich eine Parallele finde dazu, dass alles Teil eines anderen Traums ist und die Trauminformationen tatsächlich kohärent durch das Bewusstsein fließen, solange sie klar also im Fokus sind. Die gesammelten Werke vom Autor Lewis Carroll http://www.gasl.org/refbib/Carroll__Works.pdf
Bunt bunt bunt sind alle meine Träume: link bunt bunt bunt ist alles was ich hab. Darum lieb ich alles was ich Träume, weil mein schatz ein Regenbogen ist.
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