RE: was einen grad so bewegt
23.11.2011, 12:23
(22.11.2011, 04:58)owa schrieb: Wie konkret stellst du dir die Einbettung von Emotionalität in Logik und wissenschaftliche Methodik vor? Oder anders gefragt, wie sieht das aus, falls das schon getan wird, wenn auch nur oberflächlich?
analysiert man zum beispiel den begriff der gerechtigkeit, und fragt sich, was gerecht ist und was nicht, so kann man das erleben nicht aus der untersuchung ausklammern. nicht nur ist es gegenstand der untersuchung, sondern bedingung des verständnisses von gerechtigkeit überhaupt. erst wenn man fühlt, was grausamkeit ist, und dass sie falsch ist, hat man eine grundlage, um sich in die lage anderer hineinversetzen zu können, und zu beurteilen, ob sich etwas um gerechtigkeit handelt oder nicht. es gibt dafür zwar auch ansätze, die von der emotion abstrahieren wollen, doch die kranken daran, dass sie willkürliche bedingungen festlegen dafür, was die grundlage für gerechtigkeit ist oder nicht. letzten endes bedarf es dieser emotionalen grundlegung.
generell widersprechen emotionen nicht der ratio. einerseits können emotionen analysiert werden in ihren beziehungen zueinander und zu situationen, in ihrer dynamik. andererseits können sie grundlegung sein für rationale argumente, und ich glaube sogar, in gewissem sinn sind sie das immer, was die grundprämissen, aber auch die anwendbarkeit einer logik angeht.
schließlich, und das ist vllt der wichtigste punkt, bedarf es in vielen fällen der emotional vollständig ergreifenden einsicht, und nicht einer bloß intellektuell abstrakten, um tatsächlich von erkenntnissen reden zu können. wer z.b. nur rein intellektuell versteht, dass er bei seiner spinnenphobie eigentlich angst hat vor der mutter, die in gegenwart von spinnen immer so panisch wurde, hat es noch nicht soweit begriffen ("realisiert"), dass sich dadurch das bewusstsein in der angst verändern würde.
intellektuelle abstraktion läuft ohne simultane meditation immer gefahr, zum mechanismus zu werden, der unflexibel ist und über die prämissen hinaus folgerungen zieht, die zwar innerhalb des kalküls folgerichtig scheinen. doch der zugang zur beurteilung ist eben nicht jenes kalkül. kalküle sind im prinzip blind, und vereiteln auf die weise erkenntnis, obwohl sie vorgeben, welche zu generieren. was entsteht, ist, z.b. philosophische verwirrung in sonderbaren weltbildern.
das passiert allerdings nicht bloß in form eines unfalls, wie es wittgenstein nahezulegen scheint. es hat vielmehr seinen zweck in der abspaltung der emotion von der ratio, für die aufklärerische unterdrückung ersterer durch die letztere. die ratio war seit anbeginn der philosophie als aufklärung (und damit könnte man z.b. die antike meinen) als gegensatz zur emotion gesehn, welche als irrational, willkürlich, ja gefährlich abgetan wurde. ähnlich der gnostischen abwertung des körpers im gegensatz zum geist. (die bewegungen, die es dann umgekehrt taten und den körper bzw. die emotion als irrationalität verherrlichten, reproduzierten diese dichotomie dennoch und sind insofern kein echter fortschritt.)
ratio soll natur beherrschen - sowohl äußere wie innere - und das wird als befreiungsbewegung gesehen, weil die natur (und die emotion) als unberechenbar und gefährlich rüberkommt, schließlich als unschick. darüber wird die zugehörigkeit der ratio zur natur genauso vergessen wie ihre reproduzierung der gewalt, gegen die sie angeblich vorgeht.
die dadurch entstehende trennung des bewusstseins zwischen rational und emotional sieht man auch an der trennung zwischen traum- und wachbewusstsein. von jedem bewusstseinszustand aus versteht man nicht nur den anderen nicht, sondern man erinnert sich meist nicht einmal daran. die klarheit da hinein zu bringen besteht auch darin, diese zustände zu verbinden, anstatt etwa nur das bekannte, öde wachbewusstsein in den traum zu bringen.
Zitat:Ich denke der ausschlaggebende Punkt bei mir ist die Einschätzung, dass man das Unbewusste zwar gerne bewusst machen möchte, aber eigentlich keine Ahnung hat, welches Ausmaß es eigentlich hat. Man hat keine Möglichkeit, festzustellen, ob man bei seiner Analyse alles berücksichtigt hat, weil man keine Ahnung hat wie viel dieses Alles eigentlich ist, und welchen Stellenwert einzelne Aspekte gegenüber anderen einnehmen.
ich glaube nicht, dass das unbewusste ein dichotomer gegensatz zum bewussten ist. d.h. es ist nicht prinzipiell unbewusst, und damit unerreichbar. damit müsste man prinzipiell auch in der lage sein es zu bemerken, wenn man noch nicht alles erkannt hat. ob man irgendwann auch mal bemerkt, dass man alles erkannt hat, weiß ich nicht. aber ich seh da noch nicht so diese verzweifelnde unmöglichkeit, die aus deinem beitrag herausspricht.
Zitat:Anders gesagt: Der direkte erlebbare Zugriff auf die Primärquelle/-erscheinung fehlt mir zu sehr. Nicht dass ich nicht wüsste, dass die auch bei der Naturwissenschaft nicht "direkt" da ist, sondern nur über die Schwelle der menschlichen Sinne. Aber hier gibt es noch mindestens eine weitere Schwelle, nämlich die von Intention -> Verhalten. Diese müssen nicht deckungsgleich sein, aber es gibt keine Möglichkeit sicher festzustellen, ob und wann dies nicht der Fall ist. Oder zumindest ist mir derzeit keine bekannt.
wie meinst du das mit "intention -> verhalten" ?
Bin nicht mehr hier, aber noch erreichbar.
Bitte keine coronaleugner