Re: Erfahrung mit dieser Technik
15.09.2005, 10:40
Hi Hanso,
meine eigene, persönliche Meinung hierzu ist
1. die Vorstellung, "dass alles von der Substanz des Traumes ist", ist die Basis von Übungen im tibetischen Buddhismus, die schon viel älter sind. Richtigerweise müsste man sagen, dass der von dir zitierte Atisha diese aufgegriffen hat oder diese Übungsrichtung eben vertritt. Sie stammen jedoch nicht von ihm, da sie eben viel älter sind und wahrscheinlich aus dem 6. bis 9. Jahrhundert stammen.
2. die Vorstellung, "dass alles von der Substanz des Traumes ist", besagt nicht, dass dies automatisch zu verrückten Verhaltensweisen führt – wie dies ursprünglich sogar von Stephen LaBerge in seinem Buch >Hellwach im Traum< ein wenig hochmütig suggeriert wurde (Stephen LaBerge hat später seine diesbezüglich Haltung revidiert und viel positiver von tibetischen Methoden gesprochen) – sondern meint damit, dass wir das gewohnheitsmäßige Postulat, dass alles, was wir erfahren echt und wirklich sei, zerbrechen.
Dies führt dann dazu, dass wir eine gewisse, immer größer werdende Distanz und Angstfreiheit gegenüber dem, was wir erfahren - und auch gegenüber unseren automatischen Identifikationsprozessen - aufbauen, was das Auftreten von Klarträumen natürlich fördert.
3. die Vorstellung, "dass alles von der Substanz des Traumes ist", ist im allgemeinen Kontext der tibetisch-buddhistischen Achtsamkeit zu verstehen. Darin wird das Beobachten dessen, was passiert, als der bessere Weg im Umgang mit der Umwelt angesehen. Also kein üblicher Aktionismus gegenüber allem, was uns begegnet, sondern ruhige Zurückhaltung.
Wenn also ein tibetisch-buddhistischer Klarträumer auf eine Klippe trifft, dann wird er nicht einfach mal so da runterspringen sondern er wird erst einfach mal feststellen "da ist eine Klippe" und dann wird er vielleicht versuchen, diese Klippe in sein Gegenteil, also eine hohen Felsüberhang, zu verwandeln.
4. Bei einem westlichen Menschen wie sicher auch bei einem östlichen orientierten, besteht natürlich die Gefahr, dass er – bei entsprechender Veranlagung - in eine Psychose abrutscht. Dies jedoch nicht ursächlich aufgrund dieser Übung, sondern einfach, weil er als Persönlichkeit psychotisch veranlagt ist. Auslöser können dafür auch ganz andere Dinge sein und ein Atisha wird sehr wahrscheinlich darauf achten, ob der Schüler, dem er die Methode beibringen möchte, eine solche Veranlagung zur Psychose besitzt. Dann wird er sicher davon absehen, ihm dies zu vermitteln und überhaupt eher auf eine andere Betreuung setzen, denn auf eine solch herausfordernde Methode.
5. Der Klartraumzustand ist übrigens im tibetischen Buddhismus eher ein Symptom des Erleuchtungsweges, denn eigentliches Ziel.