Okay, ich bin gespannt, was da kommt.
Ich will trotzdem versuchen, gleich mal ein paar Probleme anzusprechen, die ich vermute.
Zitat:Mir ist bewusst, dass ich zwischen Wissenschaftlichkeit und Esoterik umher springe. Diese Grenzen sind für mich nicht mehr relevant.
Die Einstellung stößt bei mir heute auf Unverständnis.
Dazu möchte ich etwas ausholen. Vor einigen Jahren war ich ziemlich tief in einem esoterischen Weltbild drin, glaubte unter anderem, dass alle Religionen gleichermaßen real seien, dass Magie existiert, und dass die physische Realität untergeordnet einer metaphysischen Wirklichkeit sei. Ahja, und an Evolution glaubte ich auch nicht, ich vermutete eine magische Zivilisation vor unserer (Atlantis
)... so ungefähr.
Dann bin ich über Umwege in Berührung mit skeptischen Gedankengut gekommen. Ich hab erstmals erst verstanden, was die wissenschaftliche Methode überhaupt ist - davor hatte ich zwar geglaubt, ich hätte von Naturwissenschaft eine Ahnung, muss aber gestehen, dass ich ein völlig falsches Bild hatte. Nur dadurch war es mir möglich, Wissenschaft und Esoterik nebeneinander zu stellen, wie du es auch zu tun scheinst. Ich hatte die Vorstellung von zwei (oder mehr) konkurrierenden Weltbildern.
Die entscheidende Frage ist jedoch nicht, wie das Weltbild beschaffen ist. Die entscheidende Frage ist,
wie wir zu diesem Weltbild kommen.
Darin liegt der Clou, darin liegt die Stärke von wissenschaftlicher Methode.
Es hat Jahre gedauert, meine ganzen esoterischen Ansichten über die Welt nach und nach loszuwerden. Ein paar davon krieg ich immer noch nicht so recht los, obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass sie unhaltbar sind. Das Weltbild an sich zu ändern, ist keine einfache Sache. Umso mehr, als ich sehr sehr viel Zeit darin investiert habe, diese Ansichten für mich logisch zusammenzubauen. Das zurückzulassen, ist nicht leicht.
Aber viel wichtiger, als was wir glauben, ist, warum wir etwas glauben.
Zwischen Wissenschaft und Esoterik liegt keine klare Grenze - Parapsychologie gibt auch vor, nach wissenschaftlicher Methodik vorzugehen. Vielleicht tut sie das, aber wenn Telepathie, um nur ein Beispiel zu nennen, so häufig wäre, wie es nach Meinung von manchen Esoterikern ist - die meist unzählige Anekdoten dazu haben - müsste es ein leichtes sein, sie in einem Experiment nachzuweisen. Der Nachweis könnte auch unabhängig davon erfolgen, ob es eine Hypothese zur Erklärung gibt, oder nicht. Klar gibt es große Vorbehalte in der seriösen Wissenschaft gegenüber Parapsychologie, aber wenn es reproduzierbar ist, sollte Telepathie eigentlich problemlos beweisbar sein.
Ich habe mal an shared-dreaming geglaubt (und die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, ehrlich gesagt
), aber auch hier wird es von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher, dass es das wirklich gibt. Wäre es einfach, wäre es schon bewiesen. Gibt es shared-dreaming also doch, ist es vermutlich äußerst schwierig und selten hinzubekommen.
Nun aber zum Threadtitel. "Umgang mit verschiedenen Weltbildern"
Selbstverständlich scheint mir, dass man niemand ausgrenzen oder benachteiligen sollte, aufgrund seines Weltbildes.
Allerdings daraus zu schließen, dass es unrechtens sei, das Weltbild selbst zu kritisieren, führt aber meiner Meinung zu einer Disfunktion der Diskussion. Wenn es darum geht, herauszufinden, was
wirklich ist, ist es in unserem Interesse, wenn jedes Weltbild möglichst hart kritisiert wird. Das gilt für den momentanen Stand der Wissenschaft ebenso wie für alle anderen Hypothesen. Dazu gehört auch, gewisse Standards einzuhalten, z.B. dass eine Hypothese falsifizierbar sein muss. Wenn sie es nicht ist, entzieht sie sich jeglicher Kritik und sollte daher nicht ernst genommen werden. Weiters müssen alle Beteiligten die Möglichkeit zugestehen, aufgrund neuer Fakten ihre Meinung zu ändern.
Ein Wissenschaftler, dem es tatsächlich gelingt, Telepathie nachzuweisen, und zwar hieb-und-stichfest, wird nicht ausgstoßen aus der Naturwissenschaft, sondern wahrscheinlich als einer der bedeutendsten Wissenschaftler des Jahrhunderts gefeiert werden. (Natürlich erst, nachdem seine Hypothese einer jahrelangen Überprüfung standhält)
Ich bin irritiert, wenn jemand aus der Eso-Ecke (oder aus der Religions-Ecke oder sonstwoher) den Vorwurf erhebt, dass zu hart gegen seinen Standpunkt argumentiert wird. Denn gerade dies ist doch eine der wesentlichen Triebfedern für Fortschritt. Natürlich versucht ein Naturwissenschaftler, wenn er von einem Telepathie-Experiment hört, das ganze als Betrug aufzudecken.
Genau das sollte er auch tun, und zwar im Interesse der Parapsychologen. Wenn es ihm nicht gelingt, einen Betrug festzustellen, ist damit nicht bewiesen, dass der betreffende Parapsychologe recht hat. Aber es wird etwas wahrscheinlicher.
Und wenn jemand wirklich ein Telepath ist, dann werden ihm auch hundert Leute, die ihn für einen Betrüger halten, nichts anhaben können, zumindest auf lange Sicht. Persönliche Angriffe und der Versuch, eine Person auf anderem Wege lächerlich zu machen, oder den Ruf zu ruinieren, sind natürlich etwas anderes.
Nicht alle Weltbilder sind gleich gut. Kreationismus, die Behauptung, dass die Erde vor 6000 Jahren von Jahwe erschaffen wurde (inklusive Saurierknochen) wurde hundertfach widerlegt, und dennoch glauben Millionen Menschen heute noch daran. Viele esoterische Theorien fallen wahrscheinlich in eine ähnliche Kategorie.
Es ist unrealistisch, und aus meiner Sicht schädlich, alle Weltbilder nebeneinanderzustellen. Manche haben eben wirklich nichts mit der Realität zu tun, und sei diese noch so relativ.
"Die Wirklichkeit entsteht erst im Kopf, wir erschaffen sie selbst, und deswegen gibt es keine objektive Wahrheit" - das habe ich leider mal geglaubt. Natürlich wissen wir, aus dem Bereich der Psychologie, dass das Modell der Welt, das wir in unserem Kopf tragen, subjektiv ist, und dass Erfahrungen ebenfalls äußerst subjektiv sind. Aber das heißt eben nicht, dass es keine beobachtbare Realität gibt, die wir testen können, deren Verhalten wir eingrenzen können. Lasse ich den Apfel fallen, fällt er zu Boden. Das ist keine absolute Sicherheit, aber es ist die Annahme, die ich benötige, um zu leben, eine vernünftige Annahme darüber, dass es wohl so sein wird, wie in allen anderen gleichartigen Fällen. Die physischen Gesetze, die wir über die Welt herausgefunden haben, gelten nicht nur manchmal - und daher ist es schwer vorstellbar, wie Telepathie zum Beispiel auf dieser Ebene funktionieren sollte. Klar, dafür brauchen wir eine weitere Ebene, eine geistige Ebene, und dort sollte Telepathie also funktionieren. Was passiert gleichzeitig in der physischen Welt?
Meiner Erfahrung nach verstrickt man sich früher oder später in Widersprüchen, wenn man versucht, ein Weltbild um Dinge herum zu konstruieren, von denen man (noch) nichts weiß. Telepathie könnte existieren - aber wenn es existiert, muss es gleichzeitig auch in das Modell der Welt passen, das bereits viel besser gesichert ist. Evolution zum Beispiel. Hat sich Telepathie an irgendeiner Stelle der Evolution entwickelt? Was für ein Selektionsdruck könnte dazu geführt haben?
Geschichte.
Wenn Telepathie schon seit Jahrtausenden existiert, müsste es Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte haben. (Und ich möchte jetzt nicht jemanden provozieren, Pseudogeschichtsschreibung ala Atlantis oder Lemuria hervorzukramen *graus*)
Je mehr wir über die Welt wissen, desto mehr gibt es, was mit einer aufzustellenden Hypothese von Telepathie zusammenpassen müsste. Und das wird somit immer schwieriger. Solange es keinen Nachweis davon gibt, kann man sich die Mühe natürlich auch sparen.
Um das noch mal klar zu machen, es geht mir nicht darum, ein Weltbild zu verteidigen. Da hätte ich ja gleich bei meiner esoterischen Weltsicht bleiben können. Mir geht es darum, bewusst zu machen, dass es notwendig ist, jedes Weltbild so hart wie möglich zu überprüfen, insbesondere das eigene. Und das ist gerade eben eine Grundform der wissenschaftlichen Methode: Der Versuch, sich selber zu widerlegen.
...
Epic wall of text. Huh. Musste wohl raus.