Zerfall der Zivilisation
Jonathan Blow, bekannt als der Entwickler der Spiele Braid und The Witness, hat vor ein paar Jahren einen exzellenten Vortrag zum Zerfall der Zivilisation gehalten. Interessierten an Programmierung und Informationstechnologie kann ich den gesamten Vortrag wirklich wärmstens empfehlen:
Jonathan Blow: Preventing the Collapse of Civilisation, youtube/ZSRHeXYDLko
In diesem Vortrag sagt er – in Bezug auf Software – ab etwa 18:57:
Treiben wir die Frage etwas weiter: Befinden wir uns im Allgmeinen inmitten eines zivilisatorischen Zerfalls? Welche generellen Tendenzen können wir denn in der Entwicklung der abendländischen Zivilisation beobachten? Was droht uns? Und welche Mittel haben wir, um diesen Drohungen bewusst entgegen zu treten?
Eine allgemeine und völlig natürliche Neigung der ständigen Technologisierung, welcher wir unterliegen, ist die immer weiter vordringende Abhängigmachung des Menschen von den durch ihn geschaffenen Technologien bei gleichzeitig zunehmender Unfähigkeit, diese selbst zu schaffen und zu warten: Durch neue Technologien werden ja nicht nur neue Möglichkeiten geschaffen, sondern es verdrängen ja diese stets auch immer weiter die bestehenden Weisen, bis der Umgang mit diesen verlernt wird oder die nötige Infrastruktur um diese herum soweit zerfällt, dass deren Nutzung unökonomisch oder gar unmöglich gemacht wird, und man somit in neue Abhängigkeiten von diesen Technologien gerät, die durch ihre erhöhte Komplexität wiederum weniger zugänglich sind. Außerdem findet eine Resozialisierung um die neuen Technologien statt, die schnell zur Ausgrenzung führt.
Beispielsweise werden Pferdewagen, Motorwagen, klassische Automobile und die heutigen Rechner auf Räder zwar zunehmend ausgeklügelter, aber dafür auch schwieriger zu verstehen, zu bauen und zu reparieren. Heute jedoch sind Pferdewagen nicht mehr auf unseren Straßen einsetzbar, Motorwagen werden nicht preiswert hergestellt und entsprächen vermutlich nicht länger den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen heutzutage. Und wer sowas heute nutzen will, ist ein Idiot. Der Kühlschrank ist sehr nützlich, führt jedoch dazu, dass immer weniger Menschen wissen, wie man Fleisch haltbar macht, etwa durch Pökeln und Räuchern. Und natürlich sind Prozessoren und Rechner das beste Beispiel. Zwar können wir inzwischen wahnsinnig schnelle Prozessoren bauen, aber kein einzelner Mensch versteht mehr den kompletten Aufbau eines handelsüblichen Prozessors. Wir machen bereits unser Leben zu weiten Teilen abhängig von Systemen, die längst niemand mehr wirklich zu verstehen imstande ist.
Eine weitere Neigung der Technologisierung, die ich beobachte, ist die der Fomizifizierung, wie ich es nenne: Der Mensch wird immer weiter zur Ameise degradiert. Immer mehr bildet sich eine systematische Gesellschaft aus, welche Individualität verdrängt, indem sie an ihre Mitglieder hohe Anforderungen an Funktionalität stellt. Kurzum: Der Mensch wird immer mehr auf Angepasstheit an die gesellschaftliche Ordnung selektiert, welche den Menschen zunehmend als austauschbare Funktionseinheit begreift. Beispielsweise wird der Mensch vom Handwerker zum Fließbandarbeiter und gerät in immer engere Schein- und Ausweiszwänge, von Schulzeugnis bis Führerschein und Sprachnachweis, Lebenslauf und Versichertenkarte. Hinter dieser Formizifizierung steckt natürlich eine große Gefahr: Ohne genügend eigenständig denkende und agierende Menschen wird die Gesellschaft (und damit die von ihr abhängige Menschheit) besonders krisenanfällig. Beispielsweise wären die meisten Menschen bei einem flächendeckenden, mehrtätigen Stromausfall einfach ihrem Schicksal ausgeliefert.
Eine weitere, vielleicht nur scheinbare, Entwicklung sehe ich in einem moralischen Verfall: Mit unserem Wohlstand geht natürlich auch eine gewisse Erwartungshaltung an diesen einher sowie eine Bequemlichkeit. Ein hartes Leben wie das, was unsere Ahnen haben bestreiten müssen, erscheint uns kaum noch lebenswert, obwohl diese es ja sehr wohl durchlebt haben. Und statt uns möglichst um den Erhalt unseres Wohlstandes zu bemühen, indem wir die Systeme zu verstehen versuchen, die uns diesen bescheren, verbringen wir die meiste unserer Freizeit natürlich im Müßiggang. Zu sehr kann man uns dies vielleicht auch gar nicht verübeln, denn wir sind einfach auch überfordert mit all der Technologie, die uns unseren Alltag garantiert.
Selbstverständlich gibt es aber auch dagegen wirkende Prozesse: Wir können durch die Digitalisierung unser Wissen zu unseren Technologien viel leichter festhalten und verbreiten und der Wohlstand und die neue Technologie sorgt an vielen Stellen für eine Rückgängigmachung bestimmter negativer Wandlungen, zum Beispiel haben wir natürlich viel weniger Fließarbeit als noch vor hundert Jahren. Ich denke, dass sind auch ganz gute Ansatzpunkte, um den Zerfall der Zivilisation zumindest gewissen Einhalt zu gebieten. Auch schön finde ich die vielen Projekte, die zurückkehren zu einer Lokalisierung der Wirtschaft (vor allem der Landwirtschaft), zur Dezentralisierung der Technologie (wie durch die Free-Software-Movement) oder zu Erneuerung und Vereinfachung bestehender Technologien oder der Kombination all dieser Dinge (wie beim Projekt Open Source Ecology).
Sorgen machen mir hingegen Entwicklungen wie die Trends von Machine Learning oder von Kryptowährungen sowie die Entwicklung von Biotechnologie.
Wie seht ihr dies?
Jonathan Blow: Preventing the Collapse of Civilisation, youtube/ZSRHeXYDLko
In diesem Vortrag sagt er – in Bezug auf Software – ab etwa 18:57:
Jonathan Blow schrieb:These collapses, like we are talking about – that Bronze Age Collapse was massive: Like, all these civilizations were destroyed, but it took a hundred years. So if you are at the beginning of that collapse in the first twenty years, you might think: “Well, … things aren’t as good as they were twenty years ago, but it’s fine; we’re basically the same.” Right? But then, you keep thinking that, you keep thinking that – every twenty years another couple of cities get burned to the ground and then, like, eventually there’s nothing. Right? The fall of the Roman Empire was about three hundred years. So if you’re in the middle of a very slow collapse like that, would you recognize it? Would you know how it looked like from the inside?Im weiteren Vortrag argumentiert er (wie ich finde, sehr erfolgreich) dafür, dass ein solcher Zerfall im Reiche der Software schon längst im Gange ist. Davor gibt er übrigens sehr schöne Beispiele für verschollene Technologie, um zunächst klar zu machen, dass zivilisatorische Entwicklung keineswegs stets ein linearer Fortschritt sein muss.
Treiben wir die Frage etwas weiter: Befinden wir uns im Allgmeinen inmitten eines zivilisatorischen Zerfalls? Welche generellen Tendenzen können wir denn in der Entwicklung der abendländischen Zivilisation beobachten? Was droht uns? Und welche Mittel haben wir, um diesen Drohungen bewusst entgegen zu treten?
Eine allgemeine und völlig natürliche Neigung der ständigen Technologisierung, welcher wir unterliegen, ist die immer weiter vordringende Abhängigmachung des Menschen von den durch ihn geschaffenen Technologien bei gleichzeitig zunehmender Unfähigkeit, diese selbst zu schaffen und zu warten: Durch neue Technologien werden ja nicht nur neue Möglichkeiten geschaffen, sondern es verdrängen ja diese stets auch immer weiter die bestehenden Weisen, bis der Umgang mit diesen verlernt wird oder die nötige Infrastruktur um diese herum soweit zerfällt, dass deren Nutzung unökonomisch oder gar unmöglich gemacht wird, und man somit in neue Abhängigkeiten von diesen Technologien gerät, die durch ihre erhöhte Komplexität wiederum weniger zugänglich sind. Außerdem findet eine Resozialisierung um die neuen Technologien statt, die schnell zur Ausgrenzung führt.
Beispielsweise werden Pferdewagen, Motorwagen, klassische Automobile und die heutigen Rechner auf Räder zwar zunehmend ausgeklügelter, aber dafür auch schwieriger zu verstehen, zu bauen und zu reparieren. Heute jedoch sind Pferdewagen nicht mehr auf unseren Straßen einsetzbar, Motorwagen werden nicht preiswert hergestellt und entsprächen vermutlich nicht länger den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen heutzutage. Und wer sowas heute nutzen will, ist ein Idiot. Der Kühlschrank ist sehr nützlich, führt jedoch dazu, dass immer weniger Menschen wissen, wie man Fleisch haltbar macht, etwa durch Pökeln und Räuchern. Und natürlich sind Prozessoren und Rechner das beste Beispiel. Zwar können wir inzwischen wahnsinnig schnelle Prozessoren bauen, aber kein einzelner Mensch versteht mehr den kompletten Aufbau eines handelsüblichen Prozessors. Wir machen bereits unser Leben zu weiten Teilen abhängig von Systemen, die längst niemand mehr wirklich zu verstehen imstande ist.
Eine weitere Neigung der Technologisierung, die ich beobachte, ist die der Fomizifizierung, wie ich es nenne: Der Mensch wird immer weiter zur Ameise degradiert. Immer mehr bildet sich eine systematische Gesellschaft aus, welche Individualität verdrängt, indem sie an ihre Mitglieder hohe Anforderungen an Funktionalität stellt. Kurzum: Der Mensch wird immer mehr auf Angepasstheit an die gesellschaftliche Ordnung selektiert, welche den Menschen zunehmend als austauschbare Funktionseinheit begreift. Beispielsweise wird der Mensch vom Handwerker zum Fließbandarbeiter und gerät in immer engere Schein- und Ausweiszwänge, von Schulzeugnis bis Führerschein und Sprachnachweis, Lebenslauf und Versichertenkarte. Hinter dieser Formizifizierung steckt natürlich eine große Gefahr: Ohne genügend eigenständig denkende und agierende Menschen wird die Gesellschaft (und damit die von ihr abhängige Menschheit) besonders krisenanfällig. Beispielsweise wären die meisten Menschen bei einem flächendeckenden, mehrtätigen Stromausfall einfach ihrem Schicksal ausgeliefert.
Eine weitere, vielleicht nur scheinbare, Entwicklung sehe ich in einem moralischen Verfall: Mit unserem Wohlstand geht natürlich auch eine gewisse Erwartungshaltung an diesen einher sowie eine Bequemlichkeit. Ein hartes Leben wie das, was unsere Ahnen haben bestreiten müssen, erscheint uns kaum noch lebenswert, obwohl diese es ja sehr wohl durchlebt haben. Und statt uns möglichst um den Erhalt unseres Wohlstandes zu bemühen, indem wir die Systeme zu verstehen versuchen, die uns diesen bescheren, verbringen wir die meiste unserer Freizeit natürlich im Müßiggang. Zu sehr kann man uns dies vielleicht auch gar nicht verübeln, denn wir sind einfach auch überfordert mit all der Technologie, die uns unseren Alltag garantiert.
Selbstverständlich gibt es aber auch dagegen wirkende Prozesse: Wir können durch die Digitalisierung unser Wissen zu unseren Technologien viel leichter festhalten und verbreiten und der Wohlstand und die neue Technologie sorgt an vielen Stellen für eine Rückgängigmachung bestimmter negativer Wandlungen, zum Beispiel haben wir natürlich viel weniger Fließarbeit als noch vor hundert Jahren. Ich denke, dass sind auch ganz gute Ansatzpunkte, um den Zerfall der Zivilisation zumindest gewissen Einhalt zu gebieten. Auch schön finde ich die vielen Projekte, die zurückkehren zu einer Lokalisierung der Wirtschaft (vor allem der Landwirtschaft), zur Dezentralisierung der Technologie (wie durch die Free-Software-Movement) oder zu Erneuerung und Vereinfachung bestehender Technologien oder der Kombination all dieser Dinge (wie beim Projekt Open Source Ecology).
Sorgen machen mir hingegen Entwicklungen wie die Trends von Machine Learning oder von Kryptowährungen sowie die Entwicklung von Biotechnologie.
Wie seht ihr dies?