(27.09.2012, 20:12)owa schrieb: Ich finde deine einseitige Auslegung des Begriffes Gerechtigkeit auch nicht ganz nachvollziehbar. Solange also ein nicht sinnvolles Gesetz nur ausnahmeslos konsequent gegen alle Mitglieder der Gesellschaft durchgesetzt wird, ist für dich alles gerecht genug?
Warum sollte sich eine Gesellschaft selbst Gesetze auferlegen, die dann gegen alle ihre Mitglieder durchgesetzt werden müssen? Das ist ein Widerspruch in sich, die Existenz solcher Gesetze würde schon zeigen, dass man es nach wie vor mit einer hierarchischen Gesellschaft zu tun hat, in der eine Gruppe über die Macht verfügt, den anderen die Gesetze aufzuzwingen.
Ich denke, der Gesetzeskatalog in so einer Gesellschaft wie ich sie meine würde sich radikal von dem unterscheiden, was wir heute kennen. Das heutige Rechtssystem ist Resultat einer Bürokratie, deren primärer Zweck es ist, bestehende Macht- und Eigentumsverhältnisse zu sichern. Das dabei etwas anderes herauskommt als wenn eine Gruppe von Menschen in einer herrschaftsfreien Gesellschaft sich ihrer Regeln des Zusammenlebens selbst überlegt ist doch klar.
Zitat:Beinhaltet dein extrem verabsolutiertes (und schon deshalb nicht realitätstaugliches) basisdemokratisches Gesellschaftsmodell auch so etwas wie Gewaltenteilung? Falls es das ist, was du mit dem Nicht-darüber-hinwegsetzen-können meintest: wie wird darin sichergestellt, dass die Gesetze ausnahmslos konsequent durchgesetzt werden und wer setzt sie durch? Und reden wir von öffentlichem Recht, oder (auch) vom Zivilrecht?
Gewaltenteilung würde in dieser Welt keine grosse Rolle spielen, da niemand Macht über andere hätte. Ansonsten hätte das Rechtsystem wie gesagt nicht viel mit dem von heute zu tun. Ich kann dir jetzt nicht im Detail beschreiben, wie es wohl aussähe.
Du hast ja recht, dass wir so eine Art von Gesellschaft möglicherweise nie haben werden. Das wollte ich auch gar nicht behaupten (wäre auch eher
dieser Thread). Trotzdem wäre es für mich eben die Voraussetzung, um das Gesetz vorbehaltlos akzeptieren zu können. Ist die Voraussetzung, eine radikal basisdemokratische, herrschafts- und klassenlose Gesellschaft, unerfüllbar, dann wirds eben mit mir und der Akzeptanz des Gesetzes nichts werden, denn einem Herrschaftsinstrument muss ich mich vielleicht beugen, aber darum muss ich es nicht akzeptieren oder mir eine Fantasie vom Recht, vor dem jeder Bürger gleich behandelt wird, zusammenrationalisieren.
Du kannst meine Aussagen also auch einfach als Begründung dafür interpretieren, warum ich unser Rechtssystem nicht vorbehaltlos akzeptiere und warum ich mich nicht moralisch verpflichtet fühle, mich immer danach zu richten (was nicht heisst, dass ich mich nicht fast immer an die Gesetze halte - nur tu ich das aus anderen Gründen).
Zitat:Ist es in einer basisdemokratischen Gesellschaft nicht ebenfalls denkbar, dass Bänker nicht im Knast sind, weil es zum Beispiel nicht strafbar ist, Bänker zu sein?
Ich meine natürlich nicht alle Bänker.
Zitat:Ist es nicht möglich, dass Leute denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, nicht im Knast sind, weil ihnen ein Gericht ihre Schuld nicht nachweisen konnte und sie daher im Zweifel freigesprochen hat?
So wie bei Obama, der ohne Prozess die gezielte Tötung von Menschen befiehlt und dabei auch den Tod von unschuldigen Zivilisten in Kauf nimmt, wenn seine Drohnen in zivilen Gebieten ihre Mordanschläge ausführen?
Zitat:Und ist es da nicht auch möglich, dass Helmut Kohl das Recht zu Schweigen wahrnehmen darf? Gerade dein Kohl-Beispiel gibt doch genug Anlass, um das, was du im hierarchischen System als problematisches Merkmal herausgestellt hast, mal von der anderen Seite zu betrachten: Auch "die Beherrschten" haben als Angeklagte oder vor irgendeinem Untersuchungsausschuss das Recht zu schweigen, genau wie er.
Wenn sie dieses Recht nicht wahrnehmen, dann ist das Problem nicht mangelnde Gerechtigkeit, sondern meistens wohl Unkenntnis. Wenn ein Richter jemanden verurteilt, weil er auf der Anklagebank geschwiegen hat, ist es ein Problem der falschen Rechtsanwendung und nicht der Gerechtigkeit der Gesetze. Wenn jemand seine Rechte kennt und dennoch nicht schweigt, weil er als moralischer Saubermann dastehen will, dann ist das ein Problem seines mangelnden Selbstbewusstseins und nicht der Gerechtigkeit der Gesetze.
Bei Kohl ging es ja nicht ums Schweigerecht. Er ist ja nicht mal angeklagt worden. Dass er aber persönlich über 2 Millionen an illegalen Spenden angenommen hat, steht mehr oder weniger fest. Die Frage ist ja nicht nur, wieso er die Spender nicht nennen musste (das liegt eben daran, dass die CDU ihn nicht angeklagt hat, ansonsten hätte er dazu gezwungen werden können), sondern grundsätzlich darum, wieso dieser Sumpf nicht restlos trockengelegt wurde. Weil da eine Hand die andere wäscht, einflussreiche Strippen gezogen werden, Staatsanwaltschaften auf einmal keinen hinreichenden Tatverdacht sehen, Akten verschwinden, Ermittlungen eingestellt werden (wenn man sich mal die ganze Geschichte der CDU Spendenaffäre anguckt, Kohls Schweigen war da ja nur sowas wie der mediale Höhepunkt).
Es gibt aber auch Beispiele für Freisprüche, die dadurch zustande kommen, dass entweder eine grosse Menge Geld fliesst (Zumwinkel) oder aber irgendwelche Akten auf einmal verschwinden. D.h. durch den Einsatz von Geld, Macht und einflussreichen Beziehungen bewirkte Freisprüche, alles Mittel, die nur einer kleinen Minderheit zur Verfügung stehen.