Ich zweige von hier ab, aus einer Diskussion über die Widernatürlichkeit von trans Personen. Die ist nämlich interessant.
Widernatürlich ist hier, denke ich, ein rein theologischer Begriff. Der Vatikan bezeichnete vor nicht allzulanger Zeit trans Personen die Hormone nehmen als "Abscheulichkeit wider der Natur", bzw. in dem englischen Artikel, den ich damals gelesen hatte, war es O-Ton "trangender people annihilate the concept of nature". Die Scheinheiligkeit des Vatikans, dabei künstliche Operationen, die an Neugeborenen vorgenommen werden, als natürlich und richtig bezeichnet werden, setzt dem ganzen die Krone auf.
Disclaimer: Ich bin keine Historiker:in, und die Art und Weise, wie ich gerade Halbwissen, das ich irgendwo gelesen/gehört habe, zusammentrage, würde bei Historiker:innen zu Haareraufen führen. Nehmt das also erstmal als eine Sammlung an ... nunja, Halbwissen. Nicht alles davon wird stimmen, und Geschichte ist sowieso umstritten.
Aber mal einen Schritt zurück: Warum ist die Kirche eigentlich so feindselig gegenüber trans Personen? Woher kommt diese "Mann und Frau, Mann und Frau, gottgegeben!" Rhetorik eigentlich?
~
Ich glaube, dass das über sehr lange Zeit gewachsen ist. Das Christentum war immer schon eine Religion des Schwerts; wäre es nicht gewaltsam verbreitet worden, gäbe es heute kein Christentum; in Europa wurden andere Religionen systematisch zurückgedrängt. Was sich ausrotten ließ, wurde ausgerottet, was zu populär war beim Volk, wurde eingegliedert. Der spätere Kolonialismus und der Traum der weißen Europäer, sich den ganzen Planeten mit Gewalt zu unterwerfen, ist auch wieder eng verwoben mit der Idee des Christentums als wahre Lehre die überallhin verbreitet werden muss. Die Kolonialisten bedienten sich des Christentums, und die Missionare des Kolonialismus - a match made in heaven, buchstäblich.
Warum schreib ich das? Nun ja, weil sehr viele Kulturen, die christianisiert/unterworfen/ausgerottet wurden, wesentlich flexiblere Konzepte von Geschlechtern hatten, als die Eroberer. Das fängt schon in der Antike an; dass katholische Priester heute Kleider tragen, ist etwas, dass afaik von einem antiken Kult übernommen wurde, bei dem die Priester feminin gekleidet waren.
Von den Kelten wissen wir wenig; es wird halt vermutet, dass es auch dort Priestertum gab, das Geschlechtergrenzen sprengte. Das würde jedenfalls einiges erklären, nämlich warum trans Personen in der späteren Geschichte Europas so eine geringe Rolle spielten. Wenn trans Personen in heidnischen Religionen die Priester:innen waren, dann sind sie ja das Feindbild #1 der Kirche, das es absolut auszurotten gilt, wenn der eigene Kult gewinnen soll. Die neue Ideologie ist, dass alles was aus der Geschlechternorm ausbringt, sündhaft ist, direkt vom Satan gesponsert.
Bei Kelten und Germanen, Slawen, etc. ist das mehr Spekulation. Aber bei der Kolonialisiserung Nordamerikas wissen wir, dass die christlichen Eroberer explizit Kulturen auszurotten versuchten (leider oft mit Erfolg) in denen geschlechtergrenzenüberschreitende Personen akzeptiert und teilweise eigene soziale Rollen hatten.
~
Das ist einer der Gründe. Der andere Grund ist natürlich das Patriarchat, das ebenfalls Angst hat vor allem, was die Geschlechterordnung in Gefahr bringt. Wenn die Geschlechter nicht fix sind, wie ist es dann zu rechtfertigen, dass Männer das intelligentere, stärkere, vernünftige, einzig kunstbegabte Geschlecht sind, und Frauen - typische Argumentation aus dem 19.Jhdt - zwar wohl mal ein nettes Gedicht schreiben könnten, aber doch bitte niemals auf die Idee kommen sollten, dass sie wahrer Kunst fähig wären. Wer kommt denn auch auf so eine absurde Idee? Nein, nein, Frauen solche Flausen in den Kopf setzen, das ist eine Gefahr für die Gesellschaft...
Wer übrigens glaubt, dass diese Sicht gänzlich der Geschichte angehört, irrt sich. Der Idee, dass Frauen weniger kunstbegabt seien, kann eins heute noch in manchen Kreisen begegnen.
Nun denn. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob das Christentum unbedingt so intensiv patriarchal hätte sein müssen, wie es historisch war und immer noch zu großen Teilen ist. Die Paulusbriefe haben zumindest schon mal ne fixe Verankerung von patriarchalen Ideen, strikte Trennung nach Geschlechtern, Frauen sollen im Zweifelsfall auf Männer hören, usw.
Ich denke, dass die Energie, die konservative oder religiös-fundamentalistische Menschen in die Bekämpfung von LGBTQIA+ Personen, spezifisch trans Personen, stecken, ihre Wurzeln darin hat, dass die Überwindung der Geschlechtergrenzen ihre ganze Machtstruktur in Gefahr bringt.
Der Vatikan gibt sich gelegentlich als nett und tolerant, verbreitet aber ungestört weiter eine Ideologie des strikten Patriarchats. Ich nehme mal an, die "LGBT-freien Zonen" in Polen sind ein Resultat davon. Konservative Parteien überall auf der Welt benutzen trans Personen als Feindbild - "konservativ" scheint dabei eigentlich immer mit patriarchalen Strukturen einherzugehen; bei heutigen Rechtsextremen ist die Idee der Frau, die folgsam den Haushalt führt, nach wie vor populär und gilt als natürlich. Es geht ja nicht, einfach nur zu sagen "Wir finden das halt cool, wenn wir die Obermackos sind und Frauen wie Besitztum behandeln können", es muss ja irgendwie gerechtfertigt werden. Entweder ist es der Wille Gottes, oder halt die unveränderbare Natur, am besten beides.
Die TERFs (trans-exclusive radical "feminists") in den UK kommen zunächst einmal aus einer feministischen Tradition heraus, haben aber eine Route eingeschlagen, die sie erstaunlich kompatibel mit ihren nominellen Feindbildern macht. So kompatibel, dass sie direkt gesponsert werden von radikalen Fundamentalisten aus den USA. Und weil sich der Rest des feministischen Diskurses mittlerweile angewidert abgewandt hat, finden TERFs teilweise auch schon bei Nazis ne gemeinsame Gesprächsbasis. Auf gute Zusammenarbeit! Wer hätte gedacht, dass der Begriff "Feminazi" irgendwann doch noch eine sinnvolle Bedeutung bekommen würde?
Zum Abschluss diese Perle:
Francis strongly criticizes gender theory, comparing it to nuclear arms
Da haben wir also Gottes Natur, eine über Jahrhunderte geschliffene Waffe gegen alles, was die hierarchische Ordnung ins Wackeln bringen könnte.
Widernatürlich ist hier, denke ich, ein rein theologischer Begriff. Der Vatikan bezeichnete vor nicht allzulanger Zeit trans Personen die Hormone nehmen als "Abscheulichkeit wider der Natur", bzw. in dem englischen Artikel, den ich damals gelesen hatte, war es O-Ton "trangender people annihilate the concept of nature". Die Scheinheiligkeit des Vatikans, dabei künstliche Operationen, die an Neugeborenen vorgenommen werden, als natürlich und richtig bezeichnet werden, setzt dem ganzen die Krone auf.
Disclaimer: Ich bin keine Historiker:in, und die Art und Weise, wie ich gerade Halbwissen, das ich irgendwo gelesen/gehört habe, zusammentrage, würde bei Historiker:innen zu Haareraufen führen. Nehmt das also erstmal als eine Sammlung an ... nunja, Halbwissen. Nicht alles davon wird stimmen, und Geschichte ist sowieso umstritten.
Aber mal einen Schritt zurück: Warum ist die Kirche eigentlich so feindselig gegenüber trans Personen? Woher kommt diese "Mann und Frau, Mann und Frau, gottgegeben!" Rhetorik eigentlich?
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Ich glaube, dass das über sehr lange Zeit gewachsen ist. Das Christentum war immer schon eine Religion des Schwerts; wäre es nicht gewaltsam verbreitet worden, gäbe es heute kein Christentum; in Europa wurden andere Religionen systematisch zurückgedrängt. Was sich ausrotten ließ, wurde ausgerottet, was zu populär war beim Volk, wurde eingegliedert. Der spätere Kolonialismus und der Traum der weißen Europäer, sich den ganzen Planeten mit Gewalt zu unterwerfen, ist auch wieder eng verwoben mit der Idee des Christentums als wahre Lehre die überallhin verbreitet werden muss. Die Kolonialisten bedienten sich des Christentums, und die Missionare des Kolonialismus - a match made in heaven, buchstäblich.
Warum schreib ich das? Nun ja, weil sehr viele Kulturen, die christianisiert/unterworfen/ausgerottet wurden, wesentlich flexiblere Konzepte von Geschlechtern hatten, als die Eroberer. Das fängt schon in der Antike an; dass katholische Priester heute Kleider tragen, ist etwas, dass afaik von einem antiken Kult übernommen wurde, bei dem die Priester feminin gekleidet waren.
Von den Kelten wissen wir wenig; es wird halt vermutet, dass es auch dort Priestertum gab, das Geschlechtergrenzen sprengte. Das würde jedenfalls einiges erklären, nämlich warum trans Personen in der späteren Geschichte Europas so eine geringe Rolle spielten. Wenn trans Personen in heidnischen Religionen die Priester:innen waren, dann sind sie ja das Feindbild #1 der Kirche, das es absolut auszurotten gilt, wenn der eigene Kult gewinnen soll. Die neue Ideologie ist, dass alles was aus der Geschlechternorm ausbringt, sündhaft ist, direkt vom Satan gesponsert.
Bei Kelten und Germanen, Slawen, etc. ist das mehr Spekulation. Aber bei der Kolonialisiserung Nordamerikas wissen wir, dass die christlichen Eroberer explizit Kulturen auszurotten versuchten (leider oft mit Erfolg) in denen geschlechtergrenzenüberschreitende Personen akzeptiert und teilweise eigene soziale Rollen hatten.
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Das ist einer der Gründe. Der andere Grund ist natürlich das Patriarchat, das ebenfalls Angst hat vor allem, was die Geschlechterordnung in Gefahr bringt. Wenn die Geschlechter nicht fix sind, wie ist es dann zu rechtfertigen, dass Männer das intelligentere, stärkere, vernünftige, einzig kunstbegabte Geschlecht sind, und Frauen - typische Argumentation aus dem 19.Jhdt - zwar wohl mal ein nettes Gedicht schreiben könnten, aber doch bitte niemals auf die Idee kommen sollten, dass sie wahrer Kunst fähig wären. Wer kommt denn auch auf so eine absurde Idee? Nein, nein, Frauen solche Flausen in den Kopf setzen, das ist eine Gefahr für die Gesellschaft...
Wer übrigens glaubt, dass diese Sicht gänzlich der Geschichte angehört, irrt sich. Der Idee, dass Frauen weniger kunstbegabt seien, kann eins heute noch in manchen Kreisen begegnen.
Nun denn. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob das Christentum unbedingt so intensiv patriarchal hätte sein müssen, wie es historisch war und immer noch zu großen Teilen ist. Die Paulusbriefe haben zumindest schon mal ne fixe Verankerung von patriarchalen Ideen, strikte Trennung nach Geschlechtern, Frauen sollen im Zweifelsfall auf Männer hören, usw.
Ich denke, dass die Energie, die konservative oder religiös-fundamentalistische Menschen in die Bekämpfung von LGBTQIA+ Personen, spezifisch trans Personen, stecken, ihre Wurzeln darin hat, dass die Überwindung der Geschlechtergrenzen ihre ganze Machtstruktur in Gefahr bringt.
Der Vatikan gibt sich gelegentlich als nett und tolerant, verbreitet aber ungestört weiter eine Ideologie des strikten Patriarchats. Ich nehme mal an, die "LGBT-freien Zonen" in Polen sind ein Resultat davon. Konservative Parteien überall auf der Welt benutzen trans Personen als Feindbild - "konservativ" scheint dabei eigentlich immer mit patriarchalen Strukturen einherzugehen; bei heutigen Rechtsextremen ist die Idee der Frau, die folgsam den Haushalt führt, nach wie vor populär und gilt als natürlich. Es geht ja nicht, einfach nur zu sagen "Wir finden das halt cool, wenn wir die Obermackos sind und Frauen wie Besitztum behandeln können", es muss ja irgendwie gerechtfertigt werden. Entweder ist es der Wille Gottes, oder halt die unveränderbare Natur, am besten beides.
Die TERFs (trans-exclusive radical "feminists") in den UK kommen zunächst einmal aus einer feministischen Tradition heraus, haben aber eine Route eingeschlagen, die sie erstaunlich kompatibel mit ihren nominellen Feindbildern macht. So kompatibel, dass sie direkt gesponsert werden von radikalen Fundamentalisten aus den USA. Und weil sich der Rest des feministischen Diskurses mittlerweile angewidert abgewandt hat, finden TERFs teilweise auch schon bei Nazis ne gemeinsame Gesprächsbasis. Auf gute Zusammenarbeit! Wer hätte gedacht, dass der Begriff "Feminazi" irgendwann doch noch eine sinnvolle Bedeutung bekommen würde?
Zum Abschluss diese Perle:
Francis strongly criticizes gender theory, comparing it to nuclear arms
Zitat:But he then says that every historical period has "Herods" that "destroy, that plot designs of death, that disfigure the face of man and woman, destroying creation."
"Let's think of the nuclear arms, of the possibility to annihilate in a few instants a very high number of human beings," he continues. "Let's think also of genetic manipulation, of the manipulation of life, or of the gender theory, that does not recognize the order of creation."
"With this attitude, man commits a new sin, that against God the Creator," the pope says. "The true custody of creation does not have anything to do with the ideologies that consider man like an accident, like a problem to eliminate."
"God has placed man and woman and the summit of creation and has entrusted them with the earth," Francis says. "The design of the Creator is written in nature."
Da haben wir also Gottes Natur, eine über Jahrhunderte geschliffene Waffe gegen alles, was die hierarchische Ordnung ins Wackeln bringen könnte.
...in einer anderen Herde.