Zitat:Na ja gut, ich glaube, das hat mit Sucht nur bedingt zu tun. Natürlich gibt es das auch als wirkliche Sucht.
Es gibt sozial akzeptierte Sucht, die oft sehr unbewusst verläuft und nicht akzeptierte Sucht, die sofort als Sucht deklariert wird.
Nicht jede*r, dem es ohne Bewegung schlecht geht, ist süchtig, neben einem selbstschädigen Verhalten kann es genauso einfach nur ein gesundes Bedürfnis sein, sich ordentlich auszupowern.
Ja klar, aber vieles davon beruht ja auch nur auf sozial akzeptierten Denkmustern. Auspowern kann auch bedeuten: Ich kann mich nicht aushalten.
Manche Menschen joggen, um vor sich selbst zu fliehen. Nicht immer muss das bis zum totalen körperlichen Verfall führen. Mein Freund zb der war immer sportlich auf eine normale Weise. Sein Körper macht das nun nicht mehr mit, und das hat ihm ziemlich zugesetzt. Ich sag ja auch gar nicht, dass es bei allen Menschen immer so ist, aber das gibt es und zwar häufig. Ich habe eine Arbeitskollegin die ist total daran zerbrochen, dass sie nicht mehr joggen konnte. Ihre Psyche ist total kollabiert, als sie ihre Aggression nicht mehr ausleben konnte.
Und ich spreche auch aus eigener Erfahrung. Ich habe so intensiv Kraftsport gemacht, dass ich meinem Körper arg geschadet habe. Der Schaden den ich mit dabei zugefügt habe, war größer als der, den ich mir durch das Übergewicht zugefügt habe. Aber sowas sieht meist keiner, weil Sport sozial akzeptiert ja sogar sozial erwünscht ist. Wer Sport macht ist Teil des Kollektivs.
Zitat:Die Leute, die ich im Verdacht habe sportsüchtig zu sein sind ein winziger Anteil gegenüber denen die sich durch Bewegungsmangel, sorry aber vorzeitig ins Grab bringen.
Genau diese einseitige Sichtweise ist das Problem. Ich habe aber selbst lange so gedacht. Eben weil diese Sichtweise kollektiv vertreten wird. Diese Sichtweise hat mich aber auch sehr lange davon abgehalten mich wirklich zu spüren, weil ich immer wieder dachte, ich müsse mich mehr bewegen, obwohl ich fühlte, ich will gar nicht. Ich habe immer gefühlt, ich will nur sitzen. Aber ich habe mir das nicht erlaubt.
Zitat:Echte Sportsucht erkennt man den psychischen Entzugserscheinungen. Und damit meine ich jetzt nicht etwa "schlechte Laune" oder so – das halte ich immer noch für normal –, sondern massive psychische Störungen wie – aus meinem persönlichen Bekanntenkreis z.B. typischerweise – Bulimie.
Sportsucht kann also gewissermaßen auch eine "Ersatzdroge" sein.
Ja genau. So habe ich das auch erlebt, aber weil das bei mir im Außen nie sichtbar war, weil ich immer mehr zum Übergewicht geneigt habe, als zum Untergewicht, blieb mir und anderen meine Sportsucht unbewusst. Ich wurde eben immer muskulöser, nicht dünner.
Ich habe halt 4 Std. am Stück Kraftsport gemacht. 3x die Woche. Vorher war ich nicht zufrieden mit mir. Ich hatte immer Schmerzen. Über 8 Jahre lang, war das mein Leben. Am Wochenende bin ich dann noch gejoggt, weiter als meine Gelenke mich tragen konnten und habe dann noch Yoga gemacht. Manchmal habe ich schon morgens vor der Arbeit Gewichte gestemmt, weil die 3 Fitnesstudio gefühlsmässig nicht reichten. Wir konnten keinen Urlaub mehr buchen, ohne dass es im Hotel ein Fittnesstudio gab.
Ich habe immer das schwerste Gewicht genommen, was ich gerade so halten konnte und habe überhaupt nicht auf die Grenzen meines Körpers geachtet. Gemässigt trainieren wollte ich nie. Auch wenn mein Freund oft meinte, ich würde übertreiben. Ich hatte aber nur im Übertreiben ein Hochgefühl. Ohne Übertreiben, hatte ich gar keine Lust Sport zu machen. Ich brauchte es immer bis zur totalen Erschöpfung, weil ich sonst kein Gefühl der Befriedigung hatte.
Ich bin eine Frau und 1,53 groß. Ich konnte am Ende locker 4 x20 Sätze Bankdrücken mit 50 Kg machen, 150 Liegestützen in drei Sätzen, 70 Kg am Latzug ziehen. 100 Kg pro Bein an der Beinpresse. Unter 4 Sätze habe ich keine Maschine gemacht. Und es war mir nie genug. Ich hatte einfach kein Gefühl von Selbstwertschätzung finden können, obwohl ich immer härter darum gerungen habe. Ich hatte nie das Gefühl, dass es reicht. Erst wenn der Körper total erschöpft war, war es genug für mich. Das habe ich über Jahre gemacht. Es war eine verzweifelte Suche/Sucht nach Anerkennung.
Ich wollte stark sein. Ich habe versucht einem männliches Bild von Erfolg nachzuahmen. Auch wollte ich stark weil ich als Kind geschlagen wurde und mich nicht wehren konnte. Ich habe mir meine Gelenke, Bänder und Sehnen mit meiner Art alles zu übertreiben ziemlich zerschossen. Meine Schulter schmerzt bis heute regelmässig, meine Sehnen sind verkürzt, obwohl ich mich immer sehr ausgiebig gedehnt habe. Aber das was ich mir zugemutet habe, war für den kleinen Körper zu viel. Der übermässige Sport hat mir sehr viel mehr geschadet als mein Übergewicht und das emotionale Essen.
Mein Körper hat dem Ganzen dann einen Riegel vorgeschoben, mir nur noch Krankheiten geliefert bis ich gar nicht mehr trainieren konnte. Schweres Asthma, Depression und ständige Infektionen. Ich konnte 1,5 Jahre fast nur noch im Bett liegen, weil ich so antrieblos war oder von Infektionen geplagt. Nur dadurch weil nix mehr ging, weil ich mit mir sein musste, ohne die Möglichkeit vor mir zu fliehen, weil ich dieser Ohnmacht in mir begegnen musste, habe ich es überhaupt aus dieser Sucht geschafft.
So richtig verstanden habe ich das aber erst, als ich nach langer Krankheit und allmählicher Besserung immer wieder versuchte, zurück in die Sportlichkeit zu finden. Es wollte einfach nicht gelingen. Sobald ich mehr mache als ne runde Spazieren gehen oder ne kleine Runde Radfahren, hat mein Körper mit neuen Krankheiten gedroht, die plötzlich entstanden sind. Immer wenn ich versuchte mit dem Sport wieder einen Körper herzustellen, der vorzeigbar ist, hat meine Seele eingegriffen und mir neue Krankheitsdämonen (Helfer) geschickt.
Die Gesellschaft sieht oft immer nur bestimmte Süchte als Süchte an, während andere Menschen mit ihren Süchten teilweise noch beklatscht werden, weil sie einen perfekten Körper haben. Aber das sagt nicht aus, dass in so einem Körper auch eine gesunde Seele wohnt. Die Realität ist eben ganz anders als das Sprichwort. Was überhaupt nicht heissen soll, das Sport immer eine Sucht ist. Es fehlt aber häufig die differenzierte Betrachtung, besonders wenn wir etwas als gesund oder wertvoll einschätzen.
Zitat:Man lasse das entsprechende kick-erzeugende Verhalten beiseite und beobachte, was es in einem auslöst.
Genau. Ich habe nämlich überhaupt keine Lust Sport zu machen, wenn es keinen Kick gibt. Ich habe das nur wegen dem Kick gemacht. Und weil ich wollte, dass ich Anerkennung für meine Muskeln bekomme.
Vielleicht war das auch eine Ablehnung des Weiblichen, weil Kraftsport und Muskelmasse ja eher etwas männlich geprägtes ist. Ich glaube das war auch ein Kampf gegen meine eigenen Sensibilität und Verletzlichkeit, den ich da damals gegen mich selbst geführt hatte. Ich habe nie erfahren, dass meine weibliche Seite in der Gesellschaft Anerkennung gefunden hat. Alle wollen immer starke, leistungsstarke, zielgerichtete, erfolgreiche, klare, glatte Menschen. Die Gesellschaft bestraft Weiblichkeit und deutet diese als Schwäche und Fehlerhaftigkeit. In meiner Prägung war die Frau mit ihren weiblichen Attributen nichts wert. Ich wollte etwas wert sein. Weil ich das als Frau nicht schaffen konnte, wollte ich keine Frau sein. Das wra schon als Kind so.
Mittlerweile sind meine Muskeln kaum noch sichtbar. Mein Körper ist vom Übergewicht gezeichnet, also im Außen überhaupt nicht perfekt. Aber heute hab ich mich lieb so wie ich bin. War ein langer Weg dahin, der sehr viel Zerstörung erzeugt hat, bis ich mich lieb haben konnte, ohne Bedingungen an den Körper zu knüpfen. Weder gutes aussehen, noch Sportlichkeit noch Gesundheit. Den Körper so anzunehmen wie er ist, mit Krankheit und Schwäche, das kann erst zu wahrer Gesundheit führen. Das ist im Grunde eine große Gnade, wenn die Strategien, die ein gutes Körpergefühl erzeugen, alle zum Erliegen kommen, denn erst dann wenn alles tun im Außen, wegfällt, kann man in eine bedingungslosen Kontakt mit dem Innen treten. Das ist natürlich auch sehr traurig, sich so etwas zu zumuten um bedingungslose Liebe für sich selbst entwicklen zu können.
Ich glaube viele Menschen betäuben sich mit anerkannten Aktivitäten, um sich nicht zu spüren. Zb auch Menschen die sehr viel Geld verdienen, und ihren Selbstwert daran binden, die sind häufig auch süchtig nach Erfolg und erleben auch oft einen Fall, der dann erst die Erlösung ist. Solabge man aber noch im Hamsterrad rennt, kann man die Sucht oft gar nicht als Sucht erkennen.