RE: Das Gesetz
ricky_ho schrieb:Warum sollte sich eine Gesellschaft selbst Gesetze auferlegen, die dann gegen alle ihre Mitglieder durchgesetzt werden müssen? Das ist ein Widerspruch in sich, die Existenz solcher Gesetze würde schon zeigen, dass man es nach wie vor mit einer hierarchischen Gesellschaft zu tun hat, in der eine Gruppe über die Macht verfügt, den anderen die Gesetze aufzuzwingen.
Ich denke, der Gesetzeskatalog in so einer Gesellschaft wie ich sie meine würde sich radikal von dem unterscheiden, was wir heute kennen. Das heutige Rechtssystem ist Resultat einer Bürokratie, deren primärer Zweck es ist, bestehende Macht- und Eigentumsverhältnisse zu sichern. Das dabei etwas anderes herauskommt als wenn eine Gruppe von Menschen in einer herrschaftsfreien Gesellschaft sich ihrer Regeln des Zusammenlebens selbst überlegt ist doch klar.
Das heißt dann, die Regeln des Zusammenlebens in einer herrschaftsfreien Gesellschaft würden nicht gegen alle durchgesetzt werden müssen? Ich bin davon ausgegangen, dass es notwendig ist, Gesetze oder Regeln auch durchzusetzen, als du geschrieben hast, dass in so einer Gesellschaft niemand die Macht hätte, sich über die Gesetze hinwegzusetzen. Aber das scheint nicht so zu sein. Sondern du scheinst zu meinen, dass die Leute bereits grundsätzlich gar nicht in der Lage sind, irgendetwas zu tun, was gegen die Regeln oder Gesetze verstößt oder so etwas schlicht nicht wollen, egal unter welchen Umständen sie leben.
Und dabei hast du vorher geschrieben, dass du nicht von einer utopischen Gesellschaft erleuchteter Wesen redest. Eine herrschafts- und klassenlose Gesellschaft, in der niemand Macht über andere hätte oder haben will, ist aber genau das. Wobei, für mich nicht utopisch, sondern dystopisch.
Zitat:Ist die Voraussetzung, eine radikal basisdemokratische, herrschafts- und klassenlose Gesellschaft, unerfüllbar, dann wirds eben mit mir und der Akzeptanz des Gesetzes nichts werden, denn einem Herrschaftsinstrument muss ich mich vielleicht beugen, aber darum muss ich es nicht akzeptieren oder mir eine Fantasie vom Recht, vor dem jeder Bürger gleich behandelt wird, zusammenrationalisieren.
Du schreibst das ja so, als würde ich das vom derzeitigen Zustand denken, oder dich davon überzeugen zu wollen. Beides tue ich aber nicht. Es ging mir eigentlich darum, deine Ansicht von Gerechtigkeit anzuzweifeln, für die es nach deinen Worten ausreichen würde, dass jeder Bürger gleich (gut oder schlecht) behandelt wird. Aber das setzt natürlich voraus, dass das Gesetz durchgesetzt oder angewendet wird. Und dann stellt sich halt wieder die Frage: Von wem? Daher auch meine Nachfrage wegen der Gewaltenteilung.
Zitat:Du kannst meine Aussagen also auch einfach als Begründung dafür interpretieren, warum ich unser Rechtssystem nicht vorbehaltlos akzeptiere und warum ich mich nicht moralisch verpflichtet fühle, mich immer danach zu richten (...).
Ich habe deine Aussagen auch genau so angefasst, und das Ergebnis, das derzeitige Rechtssystem nicht vorbehaltlos zu akzeptieren, ist bei mir übrigens auch das selbe. Nur komme ich halt aus völlig anderen Gründen zu diesem Ergebnis, anstatt zu sagen, solange das Unmögliche nicht realisiert ist, werde ich auch das Mögliche nicht akzeptieren.
Meine Ansicht ist, dass die Gesetze an sich sinnvoll sein müssen, um auch gerecht zu sein. Während es bei dir völlig gerecht zu sein scheint, Mord mit einem Jahr Gefängnis zu bestrafen und Beleidigung mit 5 Jahren, wenn nur niemand diesen Strafen entgehen könnte oder wollte, sehe ich hierin halt eine ziemliche Ungerechtigkeit, da Beleidigung ein wesentlich minder schweres Delikt ist, als Mord. Ich hätte dann meiner Ansicht nach sehr wohl das Recht, einen Weg zu suchen, der 5-jährigen Gefängnisstrafe zu entgehen.
Jetzt nehmen wir mal an, ich schaffe das, und jemand anderes schafft das nicht oder will das gar nicht, dann wäre dieser Zustand deiner Ansicht nach ungerecht. Wie beseitigen wir jetzt diesen ungerechten Zustand? Indem ich dennoch freiwillig die 5-jährige Gefängnisstrafe antrete, oder möglicherweise indem man dafür sorgt, dass andere nicht die 5 Jahre absitzen müssen? Meiner Ansicht nach ist Letzteres eindeutig vorzuziehen. Wie erreicht man wiederum das? Indem das Gesetz an sich bereits sinnvoll ist und Beleidigung wesentlich leichter bestraft wird als Mord, wenn überhaupt.
Zitat:Ich meine natürlich nicht alle Bänker.
Stimmt, in deiner basisdemokratischen, herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft gibt es erst gar keine Bänker oder Banken.
ricky_ho schrieb:owa schrieb:Ist es nicht möglich, dass Leute denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, nicht im Knast sind, weil ihnen ein Gericht ihre Schuld nicht nachweisen konnte und sie daher im Zweifel freigesprochen hat?
So wie bei Obama, der ohne Prozess die gezielte Tötung von Menschen befiehlt und dabei auch den Tod von unschuldigen Zivilisten in Kauf nimmt, wenn seine Drohnen in zivilen Gebieten ihre Mordanschläge ausführen?
Was mich an dem Beispiel auch etwas irritiert, ist, dass du das Ergebnis des Prozesses bereits als gegeben voraussetzt, bevor es überhaupt zu dem Prozess kommt.
Ich habe gefragt, ob es in einem basisdemokratischen System (ich lasse jetzt das herrschafts- und klassenlos mal weg, denn das nimmt diesen Beispielen sowieso jeglichen Sinn) möglich ist, dass jemand, dem solche Taten vorgeworfen werden, freigesprochen werden kann, wenn das Gericht Zweifel an der Schuld hat. Du antwortest, indem du fragst, ob ich solche Taten verharmlosen will. Ich frage, wie du so sicher sein kannst, dass diese Farbe schwarz ist. Du antwortest, indem du mich fragst, ob ich das etwa für weiß halte. :/
Zitat:Bei Kohl ging es ja nicht ums Schweigerecht.
Dann beantworte die Frage unabhängig von Kohl. Gibt es in einer basisdemokratischen Gesellschaft das Recht zu Schweigen, wenn jemandem irgendwas vorgeworfen wird?
...
Worauf ich hinauswill habe ich ja schon geschrieben. Wenn du die Fragen mit Ja beantwortest, warum ignorierst du dann, dass es diese Rechte auch bereits im derzeitigen (hierarchischen) System gibt und wo ist dann der Unterschied, zum basisdemokratischen, wenn wir dessen utopischen Elemente mal weglassen? Wenn es diese Rechte dort nicht gibt, dann ist das basisdemokratische System für mich leider indiskutabel. Also im Sinne von, dass ich darin auch lieber nicht leben will, falls es eine bessere Alternative gäbe.
Zitat:Weil da eine Hand die andere wäscht, einflussreiche Strippen gezogen werden, Staatsanwaltschaften auf einmal keinen hinreichenden Tatverdacht sehen, Akten verschwinden, Ermittlungen eingestellt werden (...).
Es gibt aber auch Beispiele für Freisprüche, die dadurch zustande kommen, dass entweder eine grosse Menge Geld fliesst (Zumwinkel) oder aber irgendwelche Akten auf einmal verschwinden. D.h. durch den Einsatz von Geld, Macht und einflussreichen Beziehungen bewirkte Freisprüche, alles Mittel, die nur einer kleinen Minderheit zur Verfügung stehen.
Wenn du mit "Freispruch" bei Zumwinkel eigentlich nur "kein Gefängnis" meinst, dann ja, dann "Freispruch".
Eigentlich wurde Zumwinkel nämlich verurteilt zu Freiheitsstrafe auf Bewährung und zur Zahlung von Auflagen von einer Million. Abgesehen davon hat er alle hinterzogenen Beträge, inklusive Zinsen nachgezahlt. Das macht aus ihm definitiv keinen Saubermann, aber vor dem Hintergrund, dass bei Steuerhinterziehung von unter einer Million niemand ins Gefängnis geht, sondern praktisch immer höchstens Bewährungsstrafen verhängt werden, muss ich mich auch bei diesem Beispiel fragen, wo jetzt der Unterschied zu "den Beherrschten" ist.
Wenn Zumwinkel tatsächlich freigesprochen worden wäre, obwohl andere Leute, die die gleiche Summe hinterzogen haben und die gleichen mildernden Umstände geltend gemacht haben, ohne Bewährung ins Gefängnis gehen, dann würde ich es ebenfalls ungerecht finden. Dir scheints aber nur darum zu gehen, es ungerecht zu finden, dass einige Leute überhaupt soviel Geld haben, um überhaupt Steuern hinterziehen zu können, oder soviel Macht haben, die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens zu bringen. Warum sollte dann aber das Gesetz, was Steuerhinterziehung unter Strafe stellt, ungerecht sein?
Also zusammengefasst: Was du ungerecht findest, scheinen nicht die Gesetze zu sein, sondern eher die Tatsache, dass Menschen unterschiedlich sind und unterschiedliche Voraussetzungen im Leben haben. Und vielleicht auch, dass es keine Gesetze gibt, um diese Unterschiede auszugleichen, oder?