Z schrieb:Du willst gesellschaftlich als nichtbinär akzeptiert werden. Ferner willst du, dass transgeschlechtliche und nichtbinäre Menschen allgemein gesellschaftlich akzeptiert werden. Ich will wissen, was das bedeutet.
Dieser Frage gehe ich selbst nach. Es ist insofern nicht so einfach, als dass ich nicht einfach meine eigenen Ziele und Bedürfnisse verallgemeinern kann, sondern dass, weil - wer hätte das gedacht - trans Menschen insgesamt sehr verschieden sind, sehr viele verschiedene Konzepte im Umlauf sind, sehr viele verschiedene Bedürfnisse, manche davon häufig, manche sehr selten, ... dass ich also über all dies irgendwie den Überblick erst finden muss.
(Muss ich das? Naja, eigentlich nicht. Ich könnte auch einfach mein eigenes Leben leben. Aber sagen wir mal, es interessiert mich, und es interessiert mich auch auf einer persönlichen Ebene, umso mehr trans Leute ich kenne.)
Zitat:Wir wollen uns hier also in diesem Sinne aufeinander zubewegen.
Hm, weiß ich nicht, ob
wir das wollen.^^ Ich bin primär in einer explorativen Phase, wo ich noch nicht auf der Suche nach einer festgelegten Position bin, sondern erst einmal sondiere, was es so alles gibt. Das könnte durchaus noch Jahre dauern.
Wenn wir uns während dieser Phase begegnen, kann es interessant sein, ein paar Sachen zu diskutieren - aber endlos viel Energie will ich da momentan auch nicht reinstecken.
Zitat:Geht es nur um die Form meines Verhaltens? Geht es nur um die Gefühle anderer? Geht es um meine Weltsicht?
Mir geht es wohl primär um die Gefühle anderer, d.h. um deren Wohlergehen. Ich glaube aber, dass sich Verhalten, Wohlergehen anderer und Weltsicht nicht vollständig trennen lassen.
Zitat:Konzise impliziert kurz.
Ich hoffe, eine kurze Erklärung wird es irgendwann mal geben. Vielleicht erlebe ich es noch.^^ - vgl. Biologie und Evolutionstheorie: Man könnte die Evolutionstheorie, oder den Mechanismus "Evolution", als eine "kurze und konzise" Erklärung von biologischer Vielfalt allgemein auffassen. Vor Darwin jedoch war man eher im Dunkeln, konnte zwar Stammbäume oder Kategorisierungen vornehmen von Tierarten z.B., aber ohne übergeordnetes Prinzip war das erst mal ein Haufen von Information, nicht wirklich knapp zusammenfassbar.
Der Begriff "Geschlecht" ist im Wandel begriffen allein dadurch schon, dass trans Leute an Sichtbarkeit enorm gewonnen haben. Der akademische Diskurs ist - frankly - mir zu hoch. Judith Butler verstehen nur eine sehr kleine Anzahl an Leuten. Ich tendiere dazu, zu sagen, die Wahrheit ist einfacher, es müsste eine vereinfachende Erklärung also erst gefunden werden. Oder vielleicht ist auch Butlers Modell - oder das, was vllt mal an seine Stelle tritt - eigentlich viel einfacher, und nur durch die Fremdwörter-Orgie wirkt es nicht so.^^ Kann auch sein. Oder die Wahrheit ist einfach wirklich kompliziert. In that case, we're kind of screwed? Naja, zumindest was konzise Erklärungen betrifft.
Zitat:Es gibt da eine magische, binäre Eigenschaft, die fast jeder Mensch aufweist, und auf die sich fast die gesamte Menschheit ziemlich gut und schnell einig werden kann. Sowas gibt’s selten – die meisten anderen Eigenschaften, die wir Menschen attestieren, sind sehr viel schwammiger und komplexer.
Geschlecht ist ziemlich komplex. Ich fände Haarfarbe ne wesentlich einfachere Eigenschaft.
Zitat:Biologisch männlich oder weiblich zu sein, ist ein Paket. Pakete an biologischen Informationen sind nicht nur als Ansammlung Einzelinformationen sinnvoll, sondern als eigene Entitäten, da die zusammengefassten Komponenten ja auch interagieren.
Ok, das ist zumindest schon mal ein Punkt.
Ich würde sagen: Die Sinnhaftigkeit dieser Paket-Zusammenfassung sollte halt nicht universell gedacht werden. D.h. da sie eine Norm beschreiben, werden sie für Menschen innerhalb dieser Norm nützlich sein, für Menschen außerhalb dieser Norm nutzlos.
Wenn eine Medizin
alle Menschen effektiv behandeln soll, braucht es auf jeden Fall schon mehr als
nur diese Norm. Die Frage ist, können wir eventuell weiter gespannte Begriffe finden, die sowohl die alte Norm als auch deren Ausnahmen zusammenfassen?
An dieser Stelle kommen Bezeichnungen wie "Menschen mit Prostata" oder "Menschen mit Brust(-krebsrisiko)" ins Spiel. Diese sind auch für cis Menschen brauchbar, denn schließlich ist anzunehmen, dass es auch cis Männer gibt, denen die Prostata rausoperiert wurde, usw. Je nach Kontext kann es also Sinn machen, diese inklusiven Begriffe zu verwenden, anstatt der Pakete, die für die meisten, aber nicht alle, eine korrekte Beschreibung anbieten.
Zitat:Ich halte es für wichtiger, sich um Klarheit zu bemühen als um Höflichkeit. Ich halte Höflichkeit nicht für unwichtig.
"Höflich" war vielleicht ein ungünstig gewählter Begriff. Es fällt mir gerade schwer, abzuschätzen, was verschiedene Menschen als höflich ansehen... jedenfalls klingt 'höflich' eher danach, bewusst
über die Maßen respektvoll zu sein. Darum geht es glaub ich nicht.
Wenn du auf der Straße Menschen nicht Ohrfeigen austeilst, bist du deswegen ja nicht "höflich", sondern ... was anderes. Ich finde grad kein richtiges Wort. Wie gesagt weise ich darauf hin, dass ich von trans Leuten die Aussage gehört habe "es wäre mir lieber, jemand schlägt mich ins Gesicht, als jemand misgendert mich"... inwiefern da Übertreibung darin steckt, kann ich nicht abschätzen. Ich persönlich empfinde eine gewisse Irritation vllt, wenn mir jemand bescheinigt, total männlich zu sein oder so, aber ich habe nicht diese starke Reaktion gegenüber Pronomen. Insofern bin ich die falsche Person, um da im Detail drüber zu informieren - ich kann nur weitergeben, was ich gehört habe.
Jedenfalls ist unbedingt zu unterscheiden zwischen Höflichkeit und ... sagen wir mal "basic respect", also dem, was wir sozusagen per Menschenrechte oder ähnlichen Konstruktionen allen Menschen zukommen lassen wollen.
Die Tendenz in Social-Justice-Kreisen geht glaub ich dahin, zu sagen, dass dieser basic respect absolut ist, und auch noch Menschen zukommt, die unsympathisch oder sogar bösartig sind. Aus diesen Gründen wird z.B. abgelehnt, Präsident Trump als "fett" zu bezeichnen, - auch weil es respektlos gegenüber anderen dicken Menschen ist - und das auch noch von Menschen, die sehr unmittelbar unter dessen Regime zu leiden haben.
Das heißt nicht, dass es durch diesen Grundsatz verboten wäre, Menschen zu beschimpfen. (Allerdings ist es schwer, für Trump Schimpfworte zu finden, die schlimmer sind als er selber. Insofern sag ich mittlerweile: "Trump is such a trump".
)
Jedenfalls ist mein Konzept von
basic respect, dass ich auch trans Menschen, die ich persönlich nicht ausstehen kann, beim richtigen Pronomen anrede oder anzureden versuche.
Die Regel "Menschen bei ihrem richtigen Pronomen anreden" ist für cis und trans Leute gleichermaßen anwendbar. Ähnlich wie die "Ehe für alle" für Heteros und Nichtheteros Anwendung finden kann. Ich halte das in diesem Sinne also auch für eine
Vereinfachung, obwohl es - weil Aufklärung massiv fehlt - für die meisten erst einmal eine Verkomplizierung ist. In diesem Sinne sind auch die Versuche zu sehen, Geschlecht anders als bisher aufzufassen - letztlich eine Bemühung um Einfachheit, um Klarheit. Die Zwischenschritte auf den Weg dahin können aber natürlich erstmal kompliziert sein, oder auch ungewohnt. Wie gesagt habe ich nicht den Eindruck, dass optimale Lösungen schon gefunden wurden.
ẞ
Ich glaube, mit dem Würfel willst du sagen, dass es möglich ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit das Geschlecht eines Menschen zu erraten? Sehe ich auch so. Wenn jemand sich bewusst ist, dass er
rät, dann finde ich das durchaus okay. Die meisten Menschen sind sich dessen ja noch nicht bewusst.
Die ganze Geschichte mit den Pronomen - im Alltag weisen wir hauptsächlich damit fremde Leute Geschlechter zu - ist ein Problem individueller Sprachen. Englisch hat das Problem in abgeschwächter Form, weil "they" für unbekannte Personen schon lange in Verwendung ist. ("Oh, what's that, a phone? Someone lost it. I hope
they find it.") Deutsch ist wesentlich sperriger. Türkisch und Ungarisch haben das Problem auf dieser Ebene gar nicht, denn es gibt nur ein Pronomen ohne Geschlechtsmarker. (Ich nehme an, dass es auch in diesen Sprachen geschlechtliche Zuordnungen gibt, die aber anders passieren. Z.B. wie im Englischen durch die Adjektive "handsome" und "beautiful", die eigentlich das gleiche heißen, aber geschlechtsspezifisch angewendet werden (können))
Was (deutsche) Sprache angeht, so suche ich seit Jahren nach brauchbaren Lösungen. Unter non-binary Menschen gibt es eine Unzahl von verschiedenen Pronomen, von denen manche nur von wenigen Einzelpersonen verwendet werden. Das ist natürlich unglaublich unpraktisch. Ein offiziell eingeführtes Utrum-Pronomen, wie es das im Schwedischen gibt, wäre eine große Hilfe, glaub ich. Aber wie das lauten sollte? Uargh, schwierig. Ich teile durchaus die Sorge, dass Sprache unästhetisch wird - allerdings gestehe ich ein, dass für mich Ästhetik letztlich weniger Bedeutung hat als das Wohlergehen möglichst vieler Mitmenschen... und dass Sprache sowieso immer Veränderungen unterliegt, es also keine "richtige" Sprache auf dieser Ebene gibt. Ich vermute, dass du da teilw. oder gänzlich anderer Meinung bist.
Zitat:vielleicht trägt sein biologisches oder soziales Geschlecht dennoch gewisse nichtfaktische Informationen über ihn?
Nichtfaktische Information? o_0
spell schrieb:@gnutl hier ein paar textauszüge von butler. lange her, dass ich sie gelsen habe, aber damals fand ich genau diese zitate noch das klarste von allem was ich von ihr las
Hm, ich verstehe einzelne Sätze.
Ich les grad ein Buch Sekundärliteratur, das angepriesen wird als eine in einfacherer Sprache gefasste Erklärung von Butlers Ideen. Naja, "einfachere" Sprache ist ziemlich relativ. Es ist immer noch eine Menge Kauderwelsch...
Ein bisschen hat mir aber dieses recht kurze Video geholfen:
Philosophy Tube : What is Gender?
Zitat:"sex" ist keine kategorie, die einem subjekt prägend widerfährt, sondern sie konstituiert das subjekt erst. wir lernen, als kinder, uns mit einer geschlechterrolle zu identifizieren und von der anderen abzugrenzen und dadurch entwickelt sich das "subjekt", das wir sind, unser selbstbild überhaupt erst (unter anderem).
Das ist das seltsame. Auch die Abwesenheit der Identifikation mit einer Geschlechterrolle (Agender) scheint ja ebenfalls zur Entwicklung eines Subjekts zu funktionieren. Oder vielleicht ist es auch die Identifikation mit der Abwesenheit einer Geschlechterrolle.
Zitat:"männlich" ist ein adjektiv, das noch recht harmlos sein kann. ein adjektiv beschreibt immer nur teilaspekte einer person. männlich sind z.b. geschlechtsorgane, oder auch rollenstereotype. aber wenn eine person männliche eigenschaften in diesem sinn hat, ist sie deshalb kein "mann".
Hm, im Englischen gibt es die Unterscheidung zwischen "masculine" und "male" - ersteres bezieht sich auf die Rollenstereotype (also können Frauen problemlos maskulin sein), letzteres auf das Geschlecht (Frauen sind nicht 'male').
Die englische Sprache prägt generell den ganzen Diskurs... trans Leute mit selteneren Gendern vernetzen sich halt primär über das Internet, und das Vokabular ist dementsprechend.
Zitat:deshalb die ganzen vergleiche mit "ich hab blonde haare, aber deshalb sehe ich mich nicht als Blondie" usw. und trotz der vergleiche scheint es schwer vermittelbar zu sein. das phänomen betrifft ja viele subjekt-konstitutionen. "deutscher", statt "deutsch", "student" statt "studierend", usw. wirft einfach mehr fallstricke auf, in die auch immer wieder reingetappt wird.
Das scheint mir eine deutsch-spezifische Sicht zu sein?
Wobei...
es gibt "a lesbian", aber nicht "a gay" als Substantiv, und "a homosexual" wird zumeist als abwertend empfunden; im Deutschen wiederum ist "ein*e Homosexuelle*r" relativ neutral, ein bisschen legal-sprachlich vllt, es gibt aber "ein Schwuler", als Substantiv. Wobei auch hier glaub ich die Tendenz ist, Substantive zu vermeiden. Bei trans Leuten gibt es eher nur Adjektive, eine trans Frau ist "eine Frau", aber alle Substantiv-Bildungen auf "trans" werden gemeinhin als degradierend empfunden. (Die deutsche Wikipedia verwendet glaub ich noch fröhlich "ein Transgender", aber schreib das so in einer Gruppe progressiver trans Leute und die Hölle bricht los.^^)
Das generelle Problem ist: Ein Begriff wird zur Degradierung oder als Schimpfwort verwendet -> Begriff verliert seine neutrale Bedeutung, wird zum Schimpfwort. Alle Leute, die nicht degradieren wollen, wechseln zu einem neuen Begriff -> dieser Begriff wird wiederum von Menschen mit schlechten Absichten verwendet -> der neue Begriff verliert allmählich wieder seine neutrale Bedeutung -> Menschen wechseln zu einem dritten Begriff...
Sprache ist hier zwar Schauplatz eines Konflikts, aber möglicherweise nur zu einem kleinen Teil Ursache?
Zitat:trotzdem finde ich deine idee mit den "weiblichen penissen" und "männlichen vaginas" im mindfuckigen sinne toll ^^ und mindfucks braucht die welt.
Für mich ist das mittlerweile ganz normal. Mindfuck successful.^^ Naja, es kommt dadurch zustande, dass nicht alle trans Leute Probleme mit ihren Genitalien haben, und diese umoperieren wollen. Daher
gibt es halt einfach z.B. Frauen mit Penissen. Und es ist letztlich besser, zu sagen, es sind weibliche Penisse, als zu sagen, es sind Frauen mit männlichen Teilen. Das Wort "weiblich" wird an die Geschlechtsidentität geknüpft, da diese relevanter ist, als die anderen Zuordnungen. (Auch das ist aber wieder ein Diskurs, der wohl erst durch die Einwirkung von Diskriminierung und Hate-Speech so entstanden ist. Gäbe es nicht eine Horde an transfeindlichen Trollen im Internet, hätte sich diese Praxis wohl auch nicht entwickelt.)
ẞ
Gah, ich verbringe viel zu viel Zeit mit diesem Thread. Neue Regel: ein gnutlpost pro Tag maximal.